Simplify your life – immer mal wieder loslassen

Ich bin dabei mein Zuhause zu verlieren. Nein, ich bin nicht auf der Flucht und nein, ich bin auch nicht pleite. Ich werde umziehen, denn ich habe eine kräftige Mieterhöhung bekommen.

„Das ist es nicht wert“, sagt mein Hirn.

„Aber ich liebe meine Wohnung!“, sagt der Rest.

„Ja, aber es ist unpraktisch so viel Geld für eine Wohnung auszugeben, die du nur die Hälfte des Jahres benutzt. Außerdem ist sie zu groß,“ sagt mein Hirn.

„Ich mag groß.“

„Du musst ja nicht in eine Kammer ziehen. Schließlich brauchst du auch ein Büro. Aber so groß muss sie auch nicht sein.“

Nein, das muss sie nicht – aber ich weiß, dass ich zum Wohlfühlen ein Gefühl von Weite brauche.

Ich ging in die Stille um zu meditieren. „Warum bekomme ich die Mieterhöhung?“

„Damit du dich bewegst.“ – das ist die Antwort die kurz danach kommt.

Also bewege ich mich. Zwei Minuten später bin ich am Computer und suche. Keine der angebotenen Wohnungen spricht mich an.

Aber mein Hirn spricht mit mir. Sprechen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es ist wie ein Stehaufmännchen – ein gesichtsloses Wesen in dem Körper eines Dreijährigen – das hektisch auf und abspringt, die Fäuste ballt und mich anschreit: „SOFORT, JETZT, IN DIESEM MOMENT müssen wir ein neues Zuhause finden“.

Ich beobachte dieses Ausbruch in mir und rufe mich streng zur Ordnung: „Sag mal spinnst du? Was sollen da bitte die Flüchtlinge sagen? Die warten irgendwo sicher unterzukommen und besitzen nichts mehr! Du hast doch überhaupt kein Problem!!! Du wohnst immer noch in deiner schönen Wohnung – darf ich Dich daran erinnern, dass wir im Jetzt leben! – und du hast überhaupt keinen Zwang sofort auszuziehen. Du wirst schon was finden! Du weißt doch wie das geht! Konzentriere Dich auf das was du willst, vertraue darauf und dann schaue dich um, was passiert.“

Ja. Klar weiß ich das.

Der kleine dreijährige Hampelmann in meinem Kopf kapiert es nur nicht.

Ich fange an um mein Zuhause zu trauern. Ich kenne das schon. Auch Abschiednehmen will geübt werden, damit wir später, wenn wir von diesem Körper Abschied nehmen, es auch leichter können.

Und doch meckert kurz danach schon wieder etwas in mir: „Darf ich dich daran erinnern, dass dies nur eine Wohnung ist! Und du bist noch nicht einmal ausgezogen. Warte gefälligst mit dem Trauern, bis zu auch draußen bist. So vergraulst du dir die ganze Zeit, in der du noch in der Wohnung bist. Himmel Herrgott noch mal. Das weißt du doch!“

Ja, das weiß ich. Vielleicht sollte ich aufhören Bücher zu schreiben. Vielleicht sollte ich überhaupt aufhören irgendwelche Ratschläge zu geben. Ich bespreche das mit meinem Freund LD Thompson. Er lacht. Er schreibt auch Bücher. „Willkommen in meiner Welt. Das denke ich mir auch jedes Mal, wenn es mich durchschüttelt.“

Da ist es wieder: Unser Perfektionsanspruch! Es darf uns nichts durchschütteln.

Ich bespreche das mit meinem Liebsten Stanko. Er lächelt. „Dass es dich durchschüttelt, sieht man nicht. Du bist nicht hektisch, nicht nervös, gereizt und ungeduldig. Du denkst nur an deine verschiedenen Optionen. Willst du aufs Land oder doch weiterhin in der Stadt bleiben? Willst du öfters hier bei mir sein und wie viel Zeit brauchst du alleine? Du planst eben gerne. Es ist wie es ist.“

Stanko, mein Liebster, ist Maler. Er kennt sich mit Ist-Zuständen aus. Er macht Farbfelder. Intensive, bewegende, meditative Farbfelder. In einem Bild verliert man sich in Rottönen, im anderen berührt das Türkis. Jede Farbe ist einfach nur da. Farbe. Nichts zum hineininterpretieren. Nichts zum aufräumen. Nichts zum organisieren.

Es ist Sein. Betrachtendes Sein. Pures sein. Meditatives Sein.

Ich kenne diesen Zustand und liebe ihn. Wenn ich singe, wenn ich meditiere, wenn ich ins Feuer schaue, sogar wenn ich im Stau stehe. Ich kenne diesen Zustand oft in meinem Leben.

Aber jetzt, jetzt gerade kann ich es nicht.

„Schau,“ sagt Stanko mir, „beschreibe mir Wasser.“

„Es ist feucht, es hat eine chemische Formel, es ist durchsichtig, es gibt Wasser als Regen, als Meer, als Schnee. Es kann rein oder verschmutzt sein. Es hat verschiedene Temperaturen. Man kann es einfrieren…“

Ich denke noch nach.

Stanko schaut mich aufmerksam an: „Wasser ist aber auch ein Erlebnis. Es macht was mit dir. Du erspürst etwas dabei und so ist es eben auch mit den Herausforderungen, die uns das Leben schickt. Jeder von uns erspürt etwas – oft etwas anderes.“

„Und was heißt das jetzt?“

„Muss das immer was heißen?“

„Schön wär’s.“

Er lacht. Er schaut auf eines seiner Bilder, das an der Wand hängt. „Manchmal geht es eben nur um das Erleben. Bis es eben dann irgendwann einmal wieder aufhört.“

„Bis zum neuen Erleben.“

„Bis zum neuen Erleben.“

Stanko nimmt Zustände hin. Ich dagegen habe die Tendenz, sie ändern zu wollen. Er schaut mich liebevolle an: „Du bist zu streng mit dir.“

Ich seufze.

Kurze Zeit später hat sich das Stehaufmännchen beruhigt und eine Woche später ist alles klarer. Ich werde mein Leben vereinfachen: Simplify your life, we es auch wunderbar treffend heißt. Ich habe viel angesammelt in den  letzten zehn Jahren, seitdem ich wieder zuhause in Deutschland lebe. Jede Verpflichtung ist wie ein Rucksack, der etwas von uns verlangt. Und manchmal wird der Rucksack zu voll. Ab und zu mal durchschauen, was man wirklich braucht und was man wirklich will, hilft uns bei der Leichtigkeit und Wahrnehmung. Dazu gehört das Aussortieren. Das Hergeben.

Ein neues Zuhause zeigt sich für mich noch nicht – und das wird einen Grund haben. Aber trotzdem soll ich mich bewegen und das tue ich jetzt auch: Die Entscheidung zu Stanko aufs Land zu ziehen ergab sich plötzlich im Gespräch. Mal den Schalten umgelegt, geht es leichter. Was ich von meiner Wohnung behalten will, kommt in ein Lager. Ein paar Sachen nehme ich mit. Und dann warte ich ab, wie ich mich auf dem Land fühle. Erst durch das Erleben werde ich herausfinden, ob mir die Stadt fehlt. Und erst dann, wenn ich im tiefsten meiner Seele das Gefühl habe, dass ich mich auch noch in der Stadt aufhalten will, dann werde ich auch dort etwas finden, was zu mir passt. Das weiß ich. Das hat sich immer wieder in meinem Leben bestätigt. Manche Fragen brauchen für die Beantwortung Zeit. Manche Fragen können erst dann wirklich wach und klar beantwortet werden, wenn wir innehalten und den Rucksack mit Verpflichtungen mal für eine Weile auf dem Boden abstellen.

Jetzt ist eine gute Zeit dafür. Ich habe keine Kinder mehr zu versorgen. Kein Tier was von mir etwas braucht. Keine Notwendigkeit eine große Wohnung in München zu unterhalten. Mein Rucksack wird jetzt abgenommen. Ich bin aus tiefsten Herzen dankbar: Für die Wohnung, die ich fast zehn Jahre lang sehr genossen habe und auch dafür, dass ich in der Lage bin,  jeden neuen Lebensabschnitt auch immer als Abenteuer betrachten zu können.

Ich werde mein Zuhause verlieren. Und wie immer ein Neues erschaffen.

Ich weiß, wie das geht.

Nur wann, das weiß ich nicht.

1 Kommentar
  1. Manfred Spies sagte:

    Hallo Sabrina,

    danke für deine Gedanken. Ich stimme dir zu. Keine Bewegung, Veränderung ist nicht wach sein – eine Art „Stagnation“. Ein langsames Sterben und erschöpfen deiner Energie. Es ensteht eine „eintrüben“ deiner Gedanken, Gefühle wie bei Nebel. Lässt du wieder los – wird es leicht und es kommt zu einer Bewegung / Reinigung – leben – lieben – lachen. Je Älter wir werden und diese Dinge erkennen und auch durchführen (können) um so beweglicher sind wir im Geist. Altes abgeben – was nicht gebraucht wird. Ich habe es auch gemacht – habe nur noch wenige Dinge und vieles was in einem anderen Lebensabschnitt wichtig war losgelassen. Reduziert – und es tut so gut von dieser „Fülle“ loszulassen. Eine sehr angenehme Erfahrung – feine Reinigung. Auch – zu Erkennen, dass was du benötigst immer da sein wird zur richtigen Zeit.Fühlt sich gut an;-). Danke für deine Beiträge. LG – M.

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