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Es beginnt mit einem Vergleich. Ja, ich weiß, angeblich sollen spirituelle Leute nicht vergleichen. Aber wir tun es. Alle. Das ist unter anderem die Aufgabe unseres Gehirns. Der Grund? Wir versuchen herauszufinden, ob wir sicher sind. Dazu vergleicht der Verstand uns und unser Leben mit Anderen. Immer und immer wieder. Was wir mit diesem Vergleich anstellen, hängt von dem Grad unserer Bereitschaft nach Wachstum ab. Wollen wir wachsen, werden wir von anderen inspiriert. Trauen wir uns nicht zu, uns zu verändern, werden wir eifersüchtig.

Sind wir Schauspieler in unserem eigenen Leben?

Ich möchte Ihnen dazu gerne ein paar Beispiele geben. Als ich mich vor fünfundzwanzig Jahren für mein spirituelles Wachstum interessierte, traf ich eine Frau, die mir durch ihre Präsenz auffiel. Jaqueline Snyder – mittlerweile verstorben – hatte all das, was ich nicht hatte: Sie war eine zutiefst strahlende Persönlichkeit. Sie war warmherzig, weise, authentisch. Sie hatte eine tiefe, ehrliche Spiritualität und sie war eine großartige Lehrerin: Inspirierend. Humorvoll. Weise. Damals war ich unsicher in meinem Leben, ängstlich darauf bedacht es allen Recht zu machen. Ich war eine Schauspielerin in meinem eigenen Leben, festgefahren in alten Gewohnheiten und Ängsten. Ich dachte, so bin ich eben.
Im Vergleich mit Jaqueline sah ich was mir fehlte. Ich wollte auch so werden. Ich wusste, das ist ein weiter Weg. Sie erzählte uns, wie sie früher war und so erkannte ich an ihr, dass Veränderungen – massive Veränderungen – möglich sind. Ich wusste, das ist ein weiter Weg, aber jetzt hatte ich ein Ziel.

Ich war schon vieles. Ich war lange ein Trampel. Ich stolperte, haute mich an, schlurfte. Jahre später sagte mir eine Frau begeistert, dass sie es toll findet, dass ich mich so elegant bewege. Ich erinnere mich noch, wie verwirrt ich von diesem Ausspruch war. Ich und elegant? Beides in einem Satz hatte ich vorher über mich noch nie gehört. War ich elegant geworden und ich hatte es nicht gemerkt? Als ich mich beobachtete, bemerkte ich, dass ich kein Trampel mehr war. Offensichtlich hatte sich da an mir einiges verändert. Zum Beispiel auch mein Gewicht.

Ich war als junge Frau übergewichtig und frustriert darüber. Meine bevorzugte Position war Chips essend auf dem Sofa. Ich wusste natürlich dass Sport gut für mich wäre, aber ich war zu unmotiviert. Immer nach dem Motto: Jetzt ist es auch schon egal. Ich weiß noch wie frustrierend es war, Kleidung einzukaufen. Badeanzüge waren das Schlimmste! Selten sah etwas wirklich gut an mir aus. Immer wieder war in den Tränen nahe in irgendwelchen Umkleidekabinen. Ich heiratete einen Mann der täglich Sport machte. Durch ihn erkannte ich wie gut mir Bewegung tat. Wieder war es ein Vergleich, der mir half zu erkennen, was ich brauchte. Jahre später tauchte in einer meiner Meditationen eine kleine dicke Frau mit Koffern auf: „Ich verlasse dich jetzt!“, sagte sie und drehte sich um. Mein Glaube, dass ich „eigentlich“ eine dicke Frau bin – die jetzt nur kurzfristig schlank war – verließ mich mit ihr.

Singen und Inspiration

rihannonInspiriert zu werden, hört nicht auf. Singen gehört zu meinem Leben und ich bilde mich immer weiter. Im Oktober war ich mit Rhiannon – einer begnadeten Improvisations-Sängerin und Lehrerin in Rom zu einem langen Workshop. Improvisierte Musik ist Musik, die aus dem Moment entsteht. Eine Farbpalette von Musik, die sich nur dann wirklich gut entwickeln kann, wenn wir tief mit uns und gleichzeitig mit unseren Mitsängern verbunden sind. Das ist Musik, die mich fasziniert und in ihrem spontan entstehenden Miteinander eine grandiose Vielseitigkeit zeigt. Jeder von den Teilnehmern hatte gerade ein vier Minuten Solo vor der Gruppe hinter sich. Jetzt stand unsere Lehrerin Rhiannon auf. Sie ist fast siebzig Jahre alt. Weiße, kurze Haare. Stabiler Körperbau. Bewusste, sorgfältige Bewegungen. Sie weiß, wer sie ist.

Sie begann ihr Solo und mit jedem Ton berührte sie uns. Sie bewegte sich, benutzte den ganzen Raum. Sprach Worte, die sie in diesem Moment erfand und von dem jedes pure Poesie war. Sie war präsent, offen, verletzlich. Ich war fasziniert dieser Meisterin beim Erschaffen zuschauen zu dürfen. Mein Solo war im Vergleich zu ihrem wie die kritzelige Zeichnung einer Fünfjährigen zu der Brillanz eines Picassos. Als sie fertig war, waren wir vor Ergriffenheit lange still.

Viele von uns hatten Tränen in den Augen. Jemand zu erleben, der ein Meister auf seinem Gebiet ist, ist eine große Gnade. Es ist einer dieser Moment das Göttliche in Menschenform zu sehen. Und das war es, was ich miterleben durfte. Mir war es ein Bedürfnis ihr zu sagen, wie dankbar ich dafür bin das zu erleben. Ich stand auf, kaum in der Lage zu sprechen, mit Tränen die ungehindert an meinem Gesicht herunterliefen. Wir schauten uns still an. „I bow in the presence of mastery“. Was übersetzt so etwas heißt wie: Ich verbeuge mich vor Dir im Angesicht deiner Meisterschaft. Ich legte meine Hände auf mein Herz, neigte meinen Kopf und verbeugte mich tief und lange vor ihr.

Unsere Session war vorbei, doch kaum jemand von uns bewegte sich. Wir blieben gedankenverloren in unseren Sitzen. Jeder von uns bewegt und voller Respekt. Rhiannon kam nicht zu diesem Punkt ihrer Meisterschaft, weil sie darum betete. Sie kam dazu, weil sie ihrer Begeisterung folgte und trainierte. Weil sie sich über Mauern und durch Täler schleppte, bis sie fliegen konnte. Warum will ich von ihr lernen? Weil sie großartig ist. Und ich möchte von den Besten lernen. Von denen, die das gemacht haben, was ich noch machen will. Ich wünsche mir von Herzen so zu improvisieren. Dazu braucht es Übung. Immer und immer wieder Meister dieses Fachs zu beobachten und dankbar dafür zu sein, dass sie ihr Wissen teilen. Ich liebe es, wenn mir jemand sagt, was ich verbessern kann. Ich liebe es, wenn mich jemand auf meine Schwächen aufmerksam macht. Deswegen gehe ich zu genau diesen Experten! Wachstum ist die Nummer Eins auf meiner Liste.

Spirituelles Wachstum ist Arbeit

In letzter Zeit bringe ich zu meinen Vorträgen und Workshops immer eine tennisball-große Schachtel mit Schleife mit. Irgendwann einmal nehme ich die Schachtel, zeige sie den Teilnehmern und erzählte, dass hier das Einzige drin ist, was es braucht, damit wir unser Leben so haben, wie wir es uns ersehnen. Ich übertreibe so maßlos dabei („Davon werdet Sie noch Ihren Enkelkindern erzählen, dass Sie es heute hier gehört haben.“), dass der ganze Saal, die ganze Gruppe schallend lacht. Dann mache ich mit großem Tamtam die Schachtel auf und ziehe einen Zettel heraus. Darauf steht nur ein Wort: ARBEIT.

arbeitEine Frau kam am Ende eines Vortrages auf mich zu und meinte völlig irritiert: „Aber Spiritualität soll doch leicht sein! Ich verstehe das nicht. Arbeit klingt ja fürchterlich!
Ich fragte nach: „Ist es denn leicht für Sie Ihre Gedanken sauber zu halten? Ist es leicht für Sie notwendige Veränderungen durchzuziehen? Ist es leicht zu verzeihen? Leicht schwierige Gespräche zu führen? Leicht nicht zu lügen? Ist es leicht täglich zwei Mal zwanzig Minuten zu meditieren?
Sie schüttelte den Kopf und gestand: „Ich meditiere nicht regelmäßig.“ Und meinte dann triumphierend: „Aber ich glaube an Engel!
Ah. Und? Hat der Glaube allein ihr Leben verbessert?
Sie runzelte die Stirn. Ich ahnte, was in ihr passierte. Das ist der Moment, der Moment, den ich schon hunderte von Malen beobachtet hatte. Der Moment der entscheidet: Lass ich mich auf die Arbeit ein oder versinke ich in imaginäres Wünschen?

Immer wieder beobachte ich diese Weggabelung. Setzte ich mich dafür ein, dass ich mich verändere oder suche ich in der Spiritualität eigentlich nur Trost? Trost ist etwas Wunderbares. Aber es wird unser Leben nicht verändern und es wird uns nicht weiterbringen.
Ich kann mich jahrelang trösten lassen. Aber wenn ich nicht die Verantwortung für mein Leben übernehme, wird es nicht besser werden. Wir sind in der Lage uns und unser Leben zu verändern. Jeder von uns. DAS ist spirituelles Wachstum. Trost ist eine temporäre Angelegenheit. Doch wenn dies unser Lebensmotto wird, dann schlagen wir uns regelmäßig in diesem Phantasie-Wunschtraum nach einem besseren Leben den Kopf ein.

Immer wieder überprüfe ich meinen Lebenszustand. Daran erkenne ich mein Wachstum und erkenne auch meine Herausforderungen. Dazu helfen mir Fragen.
Im Laufe der Jahre sind die Fragen andere geworden und doch gibt es Basisfragen, die immer interessant sind:

  • Lebe ich ein Leben in Balance?
  • Wo habe ich noch nicht aufgeräumt?
  • Wo merke ich, dass ich immer noch hoffe, „die Anderen“ würden sich verändern?
  • Wo hänge ich fest?
  • Wo brauche ich Hilfe?
  • Wo den berühmten „Tritt in den Hintern“?
  • Was habe ich auf den richtigen Weg gebracht?
  • Von wem oder was möchte ich mich inspirieren lassen?
  • Was braucht mehr Zeit in meinem Leben?
  • Was weniger?

Wir haben die Macht uns und damit unser Leben zu verändern. Wir stehen an jedem Tag an der Schwelle zu einem neuen Leben. Wie wollen wir es leben?

Es ist möglich intelligenter, weiser, mutiger und sogar eleganter zu werden.

Ich habe es erlebt.