Stolpersteine auf dem spirituellen Weg
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- 1. Kapitel
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir haben unseren Blick nach innen gelenkt und Licht und Schatten gefunden. Das Licht, das haben wir gesucht, den Schatten, den wollten wir loswerden. Dann haben wir uns angestoßen. Da lag er. Der Stolperstein auf unserem Weg ins Licht. Da wollen wir hin, weg von den Schwierigkeiten des menschlichen Lebens.
Und doch, wenn wir uns diesen Stolperstein ganz genau betrachten, dann hat er die Qualität einer Perle. Hilfsbereit liegt er vor unseren Füßen, weil er uns den Weg weisen will. Den Weg zu einer Leichtigkeit … wenn – ja wenn – wir von diesem Stolperstein lernen.
Wir sind nicht die Ersten, die das tun. Neben uns räumt jeder irgendwie seinen Weg auf. So können wir uns zurufen, was uns geholfen hat. Und so ist dieses Buch ein liebevoller Zuruf von meinen Freunden und mir.
Licht und Liebe und Gottes Segen
Sabrina Fox
München, Oktober 2008
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Wieso gibt es Stolpersteine?
- In welcher Phase meiner spirituellen Entwicklung bin ich?
- Irgendwie ist das komisch …
- Worauf sollte ich besonders achten?
- Vorsichtig: Beispiele
- Was mache ich falsch, wenn es bei mir nicht funktioniert?
- Woran erkenne ich einen guten Lehrer?
- Welche Stolpersteine gibt es für Lehrer?
- Ist das Meditieren wirklich so wichtig?
- Was ist, wenn die anderen mich für verrückt halten?
- Warum hören sie denn nicht auf mich?
- Wenn ich mich bei anderen Religionen umschaue, bastle ich mir dann nicht einfach meinen Glauben zusammen?
- Wie viel hat unser Leben mit Karma zu tun?
- Ist das die dunkle Nacht der Seele?
- Wie erkläre ich meinen Kindern mein Gottesbild?
- Kann man sich wirklich alles vom Universum wünschen?
- Stimmt das, was ich in meinen Meditationen höre?
- Meine Freunde befürchten, ich flüchte mich in die Spiritualität
- Mein Partner und ich kommen nicht mehr miteinander zurecht – ist es Zeit, sich zu trennen?
- Wie kann ich erleuchtet werden?
- Wieso werde ich krank?
- Warum bin ich nicht glücklich, obwohl ich so viel für andere tue?
- Grenzen setzen: Beispiele
- Was ist meine Lebensaufgabe?
- Was ist eigentlich Channeling?
- Wie ist das mit Spiritualität und Sexualität?
- Warum will ich plötzlich nicht mehr so viel über Gott reden?
- Die Perle als Stolperstein oder Was haben wir gelernt?
- Danke
- Anhang
1. Kapitel
Wieso gibt es Stolpersteine?
Wir haben uns angestoßen. Vielleicht ein wenig, vielleicht viel. Vielleicht haben Sie einen Heiler getroffen, der sein eigenes Ego unterstützt, aber nicht Sie. Vielleicht ist es eine Lehrerin, die eigentümliche Eigenschaften hat, und Sie sind irritiert, ob das wirklich spirituell ist. Vielleicht hat eine Dunkelheit sich in Ihr Herz gelegt, gerade jetzt, wo Sie doch ins Licht schauen wollen. Vielleicht haben Sie gerade viel Geld für hellsichtige Kartenleger ausgegeben und wundern sich, wie das weitergehen soll. Irgendwo in Ihnen nagt dieses komische Gefühl, das wir alle kennen und das wir alle gelegentlich ignorieren. Doch dieses Gefühl lässt Sie dieses Mal nicht los. Irgendetwas will aufmerksam betrachtet werden. Und dieses Irgendetwas ist einer unserer Stolpersteine.
Stolpersteine – also Herausforderungen – liegen nicht deswegen auf dem spirituellen Weg, weil Gott gerne zuschaut, wenn wir uns anstoßen. Sie liegen da, damit wir auf sie aufmerksam werden.
Jeder von uns hat Hausaufgaben mitbekommen. Dinge, die wir, als Seele, lernen wollen. Und die tauchen auf, ob wir – als Ego, als Persönlichkeit – das wollen oder nicht. Sie sind einfach da. Gelegentlich können wir sie für eine Weile ignorieren und hoffen, dass sie damit verschwinden. Das tun sie manchmal auch, doch nur um kurze Zeit später wieder verstärkt aufzutauchen. Schließlich hat unsere Seele diese Aufgaben hierher mitgenommen, und sie wollen gelöst werden.
Wir hatten gehofft, dass menschliche Probleme dank unseres beginnenden oder fortgeschrittenen spirituellen Trainings bald der Vergangenheit angehören. Wir haben diesen neuen Weg beschritten, weil wir mit dem Leben, so wie wir es bisher gelebt hatten, nicht glücklich waren. Irgendetwas bereitete uns große Schmerzen und zwang uns tief nach innen. Dabei haben wir nicht nur unsere Umgebung, sondern auch uns selbst untersucht und versucht, mit Gottes Hilfe neue Wege zu gehen.
Als ich anfing, mich auf meinen spirituellen Weg zu machen, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie er aussehen würde: Er wird am Anfang recht steil bergauf gehen, was natürlich sehr anstrengend sein wird, aber dann, wenn ich gelernt habe, wie man »richtig« betet, »richtig« meditiert und »richtig« lebt, wird es ein gerader, herrlicher Spaziergang sein. Meine Mitmenschen werden voller Erstaunen danebenstehen und sich wundern, warum bei mir alles so gut klappt. Ich werde immer gesund, immer erfolgreich, immer strahlend und immer liebevoll sein. Ich werde in mir ein Gefühl völligen Friedens verspüren – schließlich will man ja nicht umsonst so lange meditiert haben –, und nichts, aber auch gar nichts wird mich aus der Ruhe bringen. Falls sich doch gelegentlich ein Schicksalsschlag in meine Gegend verirren sollte, werde ich den mit den nötigen Gebeten in etwas harmlosere Schranken verweisen oder, je nachdem, so schnell wie möglich meine Lehren daraus ziehen und dann weiterhin dem herrlichen Sonnenaufgang entgegengehen: selbstverständlich singend und in ewiger Glückseligkeit.
Gut, nicht wahr?
»Ha!«, wird sich da der liebe Gott schmunzelnd gedacht haben. »Das wäre doch aber zu langweilig. Bist du nicht hier auf Erden, um zu leben?«
Und meine Antwort hätte ungefähr so gelautet: »Gegen das Leben habe ich ja im Prinzip nichts einzuwenden, aber gegen die Aufregungen und gegen schmerzhafte Gefühle möchte ich mich absichern.«
Wir sind Seelen, die menschliche Erfahrungen machen. Und zum Menschsein gehören nun mal angenehme und weniger beliebte Gefühle. Das heißt nicht, dass ein spirituelles Training keine Vorteile hat. Es hat jede Menge Vorteile: Wir lernen, aufmerksam zu leben, volle Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, uns besser zu verstehen und damit andere besser zu verstehen. Wir werden entspannter, regen uns weniger auf und entwickeln ein sehr viel größeres Mitgefühl. Wir wollen im Dienst stehen und lernen doch auch, uns selbst zu achten. Wir sind intuitiver. Wir können die schönen Momente mehr genießen, weil wir mehr im Jetzt leben. Wir haben gelernt, unsere Gedanken zu beruhigen und jede Herausforderung als Chance zu sehen. Das allein ist den Weg schon wert. Dazu kommen noch neue, interessante Menschen, andere, ungewöhnliche Ideen, eine nicht enden wollende Fülle von Erfahrungen.
Spannend ist es schon, dieses Leben.
Unser Bewusstsein hat sich entwickelt, unsere Aufmerksamkeit wurde geschärft. Unser Wohlbefinden wuchs. Und doch … sind wir Menschen, ob wir es wollen oder nicht. Ein spannungsloses Leben kann leblos werden. Um es mit Sexualität zu vergleichen: Gar keinen Orgasmus zu haben wäre doch schade, doch ein immerwährender Orgasmus würde uns nach einer Weile auch auf die Nerven gehen. Es braucht den Wechsel. Spannung–Entspannung. Und beides gibt es im Leben genug.
Deswegen haben wir uns dieses Leben ausgesucht: Wir wollen etwas erleben, wir wollen unsere Seelenhausaufgaben erledigen und wir wollen Leben lernen. Dabei helfen uns die Stolpersteine.
In welcher Phase meiner spirituellen Entwicklung bin ich?
Natürlich maße ich mir nicht an, am Ende meiner spirituellen Entwicklung zu sein, aber mir ist aufgefallen, dass ein Aufwachen in ein spirituelles Leben in bestimmten Phasen vor sich geht. Freilich ist die Dauer dieser Phasen individuell verschieden. Manche erleben wir gar nicht, in anderen lassen wir uns für lange Zeit häuslich nieder.
Wir Menschen sind uns sehr ähnlich. Wir alle wollen dasselbe: Liebe, Glück, Gesundheit, Wohlstand, eine Gemeinschaft, eine Aufgabe, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und die Möglichkeit, ohne Angst zu leben. Als ich anfing, Bücher zu schreiben, und daraufhin die ersten Briefe bekam, hörte ich immer wieder ein verblüfftes »Ich glaube, Sie schreiben über mich; mir geht es genauso«. Es ist wunderbar, die Ähnlichkeit mit den Mitmenschen erleben zu dürfen, denn dadurch ergibt sich das tiefe Verständnis, dass wir doch alle zusammengehören. Wir sind in und aus Gott (der himmlischen Kraft, einem intelligenten Design … wie immer Sie es nennen wollen) gemacht.
Ich unterscheide weniger zwischen den einzelnen Glaubensgemeinschaften als zwischen erlebter und erlernter Spiritualität. Jeder von uns, der in einer der großen Religionen erzogen worden ist – wie ich im Christentum –, hat spirituelle Grundwerte erlernt. Andere haben ihre spirituellen Werte aus weniger organisierten Quellen. Für mich war das Verhältnis zu Gott lange Jahre ein distanziertes. Ich kannte natürlich die Worte des »Vaterunser«, aber ich fühlte sie nicht. Wenn es brannte, rief ich Gott um Hilfe, aber ohne wirklich auf eine Antwort zu hoffen. Es war mehr ein Dampfablassen oder fast eine Floskel. Ansonsten war da eher Funkstille. Irgendwann einmal – hervorgerufen durch eine berufliche Krise – wünschte ich mir mehr. Eine Innigkeit zwischen Gott und mir … falls ich ihn/sie überhaupt kontaktieren könnte. Sicher war ich mir damals noch nicht.
Damit beginnt der erste Schritt in die erlebte Spiritualität: mit der Phase des Aufwachens. Wer oder was auch immer uns dazu inspiriert hat – eine Krankheit, eine Krise, ein Pfarrer, ein Buch, ein Workshop, ein Freund –, irgendetwas hat uns dabei interessiert, und so haben wir nachzuforschen begonnen. Zuerst meistens heimlich. Wir sind uns noch nicht sicher, ob wir mit der einen oder anderen für uns doch seltsam erscheinenden Idee wirklich schon in die Öffentlichkeit wollen. Und da tut sich ein neues Land auf: Begriffe wie Chakren, frühere Leben, Meditationen, Gebete, Engel und weise Meister werden ganz selbstverständlich benutzt. Da gibt es ein hohes Selbst. Feng Shui und Reiki-Grade sind interessant. Plötzlich kann man alles irgendwie anders betrachten. Wie spannend! Wir kaufen Kristalle und jede Menge Engelbilder.
Die zweite Phase zeichnet sich durch eine große Begeisterung aus. Wir fühlen uns nicht mehr als die Anfänger, sondern haben bereits die eine oder andere Erfahrung gesammelt. Wir waren vielleicht schon auf Workshops und haben eine gänzlich andere Art des Umgangs miteinander erlebt. Oder wir haben unseren ersten Engelkontakt gehabt und sind verzückt von der Liebe, die da von uns erfühlt wurde. Wir haben spannende Bücher gelesen und neue, hochinteressante Leute kennengelernt. Und wir wollen das alles weitergeben. Da wir auch gleichzeitig beschlossen haben, aus der heimlichen Spiritualität in die öffentliche zu gehen – was nicht immer einfach ist –, wollen wir aber jetzt dafür allen anderen helfen. Wir wissen nun nämlich auch, wie! Wir erzählen von Engeln und von früheren Leben, empfehlen Heiler und Astrologen. Wir verschenken die Bücher, die uns geholfen haben, und kennen kaum mehr ein anderes Gesprächsthema. Unsere Umwelt schaut uns etwas verwundert oder verschreckt an und hofft, dass diese Phase bald vorbeigeht, und die große Sorge ist: »Gibt es da eine Sekte, die dahintersteckt?« Wir versuchen, so viel zu lernen, wie es nur geht, und hoffen, dass der nächste Workshop oder der nächste Lehrer uns weiterbringen. Manchmal haben wir vor lauter Lernen keine Zeit mehr zum Üben.
Die dritte Phase kann innerhalb von ein paar Stunden oder leider erst nach einigen Jahren wieder verlassen werden. Wir haben uns in eine leichte bis schwere Abhängigkeit begeben. Davon gibt es zwei Sorten: die von Ideologien oder die von Menschen. Wir »wissen« zum Beispiel jetzt, dass niemand Fleisch essen sollte oder dass eine bestimmte Maßnahme alles heilt, und/oder wir haben einen Hellsichtigen, Channel (siehe das Kapitel »Was ist eigentlich Channeling?«), einen Meister oder eine Meisterin, einen erfahreneren Freund oder eine Freundin beziehungsweise einen Astrologen, ohne den wir keine Entscheidung mehr treffen. Wir wollen uns in diesem Leben absichern – auch ein Grund, warum wir uns überhaupt für Spirituelles interessieren – und verschwenden nicht nur Zeit, sondern manchmal auch sehr viel Geld dabei. Wir suchen nach jemandem, der uns führt, der uns sagt, wo es langgeht, und haben somit unsere Verantwortung für unser Leben abgegeben.
Da wahre Spiritualität jedoch auch immer bedeutet, die volle Verantwortung für seine Gedanken, Worte und Taten zu übernehmen, wachen wir auch davon irgendwann einmal auf – spätestens dann, wenn uns das Geld ausgeht oder wir so schmerzliche Erfahrungen in dieser Abhängigkeit gemacht haben – und versprechen uns, so etwas nie wieder zu erlauben. Manche verlieren dabei, verständlicherweise, völlig das Interesse an Spirituellem und wenden sich ab.
Zur großen Beruhigung einiger unserer alten Freunde (falls wir sie dann noch haben) sind die letzten zwei Phasen abgeschlossen, und wir gehen in die vierte Phase: die des aufmerksamen Aussortierens von »Was funktioniert und was nicht?«. Wir haben verstanden, dass wir in der zweiten Phase der Begeisterung zu oft unsere Mitmenschen überfallen haben. Wir haben gelernt, dass unser Weg nicht für alle richtig ist, wir haben vor allen Dingen verstanden, dass wir nur dann Ratschläge geben sollten, wenn wir auch gefragt werden. Und wir haben gelernt, unserer eigenen Wahrnehmung besser zu vertrauen. Diese vierte Phase ist die der Selbstverständlichkeit. Wir haben unsere Routine. Wir üben mehr und suchen Workshops und Vorträge sehr sorgfältig aus. Unsere regelmäßigen Meditationen unterstützen uns. Gelegentlich erleben wir »die dunkle Nacht der Seele«, und da dies nicht unsere erste ist, wissen wir auch, wozu wir sie haben. Mit der gelebten Spiritualität hat sich das Leben verändert, und Freundschaften und Beziehungen haben keine manipulativen Tendenzen mehr.
In der fünften Phase – die nicht jeder geht – haben wir uns einem rigorosen spirituellen Training unterzogen. Wir sind sehr streng mit uns umgegangen. Haben sehr große Erwartungen darüber, wie sich ein spiritueller Mensch zu verhalten hat, und haben vieles abgelegt, was uns nicht »richtig« erscheint. Selbstverständlich trinken wir keinen Alkohol, nehmen weder Fleisch noch Zucker zu uns, verzichten eventuell auf Sexualität. Wir wollen ein ganz und gar geistiges Leben und lehnen unterbewusst unseren Körper ab, den wir zu bezwingen versuchen. Wir meiden Menschenansammlungen, da sie uns ermüden, und fühlen uns in unserer eigenen Stille oder in der Gegenwart einzelner, ausgewählter Menschen am wohlsten. Laute Musik können wir nicht ertragen. Wir sind mehr und mehr in der Lage, wohlwollend auf alle Mitmenschen zu schauen, und glauben, dass wir es fast geschafft haben, alle Menschen gleich zu lieben.
Die sechste Phase beginnt nicht selten mit einer weiteren »dunklen Nacht der Seele«. Falls wir die fünfte Phase erlebt haben, merken wir plötzlich, wie wir uns in einem flachen Leben wiederfinden. Wir leben eine gerade Linie ohne Höhen und Tiefen. Alles an Aufregung, Spaß und Lust haben wir uns abgewöhnt. Wir haben uns nicht einmal mehr getraut, uns zu verlieben, weil wir ja dann die Kontrolle verlieren würden, und zu unserem Schock wird uns klar, dass wir in der gerade erlebten, fünften Phase unser Leben kontrollieren wollten. Doch jetzt möchten wir unser herzliches lustvolles Lachen wieder zurückhaben, ohne die tiefe spirituelle Wärme und das Wissen zu verlieren.
Nach dieser Klarheit erleben wir ein tiefes Verständnis für unsere Mitmenschen und Gott sei Dank endlich auch für uns selbst. Damit beginnt die siebte Phase. Wir haben gelernt, nein zu sagen, und erwarten den gleichen Respekt, den wir anderen entgegenbringen, auch für uns. Wir erkennen sehr wohl, wenn der Körper Signale schickt. Wir haben die vollständige Verantwortung für unser Leben übernommen und schieben nichts mehr auf Gott, die Wirtschaftslage oder unseren Nachbarn. Uns fällt auf, dass unsere Spiritualität privater wird. Wir reden seltener darüber. Wir haben tausend Fragen gestellt, und viele sind uns beantwortet worden. Jetzt heißt es, das Gelernte auch zu leben. Andere Gesprächsthemen interessieren uns nun auch wieder. Es passiert sogar ab und zu, dass uns das aufregende Leben wieder eingeholt hat und wir uns dabei erwischen, wie unsere Meditationen oder Stillezeiten kürzer werden. Und ohne großes Palaver setzen wir uns hin und fangen wieder an, regelmäßig zu meditieren. Und das in voller Dankbarkeit, dass Gott überall ist und wir jederzeit – durch einen tiefen Atemzug – in dieser Innigkeit sein können. Wir haben endlich auch praktisch verstanden, dass wir eine Seele sind, die menschliche Erfahrungen macht, und können das jetzt mit einer Leichtigkeit akzeptieren, die uns früher fremd war. Wir haben unsere spirituelle Engstirnigkeit verloren, und sie geht uns keinen Moment lang ab.
Wahrscheinlich gibt es noch Phasen danach. Ich sehe bei einigen meiner Freunde und Bekannten eine Art Meisterschaft in verschiedenen Aspekten. Meine Freundin Sunny zum Beispiel lebt wirklich im Jetzt. Sie hat eine Entspanntheit, die ich sehr bewundere. Ist das die Phase acht? Neun? Oder sind es Aspekte von uns, in denen wir es einfach schon zu einer Art Meisterschaft gebracht haben? Wir werden es sehen. Meine Schwester Susanne Adlmüller und ich unterhielten uns vor einiger Zeit über die ersten Phasen. Ich bat sie, doch ein paar ihrer Erinnerungen aufzuschreiben. Susanne gibt Energie-Ganzkörpermassagen, ist Dozentin an der Paracelsusschule, leitet Visionquests und arbeitet freiberuflich an administrativen Aufgaben. Susanne hat eine verheiratete Tochter, Beatrice, und ist stolze Oma von Finn. Sie schreibt:
»Am Anfang war das Missionieren. In der Zeit konnte man Sabrina nichts erzählen, ohne sofort den ultimativen Ratschlag zur Veränderung seines Lebens zu erhalten. Nicht, dass ich keine Ratschläge mag, aber immer, bei jeder Gelegenheit. Das hielt sich am längsten.
›Der heilige Blick‹ oder ›Das selige Lächeln‹.
Das gehört auch zur Anfangsphase. Ein sanftes Lächeln im Gesicht mit einem Blick, dass man meinen konnte, die Heiligsprechung durch den Papst sei schon vollzogen worden.
Damals lebte Sabrina noch in Los Angeles und wenn sie nach München kam, wohnte sie bei mir; sie hatte dort ein eigenes Zimmer, direkt über meinem Wohnzimmer. Ich wohne in einem alten Bauernhof, den ich sehr liebe, der aber auch sehr hellhörig ist.
Ich bin bekennender Fernsehschauer. Mit Sabrina war es schwierig, fernzusehen.
Sobald etwas ansatzweise brutal war oder Action hatte, floh sie regelrecht aus dem Zimmer, und es hallte Meditationsmusik, bevorzugt von Enya, durchs Haus. Ich hab mir dann angewöhnt, mit Kopfhörern fernzusehen, denn jedes noch so kleine Geräusch von Action hatte die Folge, dass Sabrinas Stimme von oben den ultimativen Satz ›Kannst du leiser machen?‹ sprach. Andere Musik gab es bei ihr auch kaum mehr. Die Phase ist Gott sei Dank vorbei.
Essen und Trinken
Sabrina in München bedeutete immer Coca-Cola und Spezi, Semmeln mit warmem Leberkäs, Hofpfisterei-Brot und Bierschinken. Das war immer so, bis die große Veränderung stattfand. Ich hatte, wenn sie zu Besuch kam, diese Sachen vorher eingekauft.
Auf einmal erklärte sie, dass sie keine Getränke mit Kohlensäure mehr trinkt. Also besorgte ich beim nächsten Mal statt Coca-Cola Wasser.
Dann erklärte sie, dass sie kein Fleisch mehr isst, sondern nur noch Fisch. Also besorgte ich, bevor sie kam, Fisch.
Das ging einige Jahre ganz gut, bis sie alles änderte und wieder Fleisch aß. Spezi und Coca-Cola trinkt sie inzwischen auch wieder. Die Zeit ohne Alkohol ist ebenfalls vorbei; und ich genieße es sehr, mit ihr abends ein Glas Wein zu trinken.
Rauchen.
Das war sehr nervig. Bei jeder Zigarette (und ich weiß, dass es schädlich ist und stinkt und, und, und …) das ultimative Augenbrauenhochziehen. Dann die Frage ›Musst du schon wieder rauchen?‹ oder ›Du hast vor einer Stunde erst eine geraucht…‹ und so weiter, und so fort.
Dann der Höhepunkt: Es war an der Zeit, meine Pfeife zu bekommen, die indianische Zeremonienpfeife. Sabrina ergriff die Gelegenheit und erklärte mir, dass ich die Pfeife erst bekommen würde, wenn ich zu rauchen aufhörte.
Nur als Anmerkung: Bei Sabrinas Pfeife wurde ihr vom Spirit gesagt, dass sie, Sabrina, ihre erst bekäme, wenn sie mit dem Rauchen aufhörte, was sie dann auch sofort tat. Ich hatte nie das Gefühl, dass das bei mir ebenfalls stimmt.
Monate später gestand sie mir, sie habe mich nur zum Aufhören bewegen wollen.
Obdachlose.
Das war sehr mühsam und peinlich: Man geht mit jemandem spazieren, und alle zehn Meter bleibt man stehen, um mit einem Obdachlosen zu reden oder ihn zu umarmen. Das hat sich inzwischen auf ein normales Maß reduziert. Und wenn sie darauf angesprochen wird, dass jemand Hunger hat, gibt sie ein Frühstück oder Mittagessen aus.
Das Highlight: die Abfallphase.
Man soll seinen Abfall nicht auf die Erde werfen, das wissen wir alle. In unserer Familie wird das auch nicht gemacht. Doch wenn man mit Sabrina damals spazieren ging, kam man nicht sehr weit, da sie Müll immer aufhob. Wenn ich schreibe ›immer‹, meine ich ›immer‹. Jedes kleine oder große Fitzelchen, egal, ob im Wald oder in der Stadt.
Es kam vor, dass sie mit zwei prallgefüllten Tüten voll Dreck zurückkam. Es war auch sehr lustig, dass Sie nie mit Plastiktaschen das Haus verlassen hatte. Diese fand sie ebenfalls auf ihren Spaziergängen.
Einmal, als sie bei mir war und im Wald und am Wegesrand Abfall gesammelt hatte, drei Tüten voll, hielt ein Autofahrer an, um sie mitzunehmen. Sie war sehr froh darüber, denn der Dreck hatte ein ziemliches Gewicht.
Als mich Sabrina gebeten hatte, aufzuschreiben, was mich auf ihrem spirituellen Weg am meisten genervt hat, dachte ich, dass es unheimlich viele Dinge waren. Erst beim Schreiben ist mir aufgefallen, dass es gar nicht so viele sind.
Aber mir fiel auf, dass ich in meiner Anfangszeit auch einigen Freunden ziemlich auf die Nerven gegangen sein muss. Eine meiner ältesten Freundinnen hat mir sogar einmal angedroht, mir das Haus zu verbieten, falls ich das Wort ›Engel‹ noch einmal benutzen würde. Wir sind immer noch befreundet.«
Würde ich alles noch mal so machen? Davon abgesehen, dass diese Frage komplett sinnlos ist – es ist, wie es ist –, liegt es an meiner Persönlichkeit, mich auf etwas tief einzulassen. Wie sonst kann ich herausfinden, ob es mir das bringt, was ich suche? Das mit dem Rauchen tut mir leid, und das war auch noch vor meiner Zeit, in der ich mir versprach, nicht mehr zu lügen. Wie bei allem, was man sich angewöhnt, ist die erste Zeit eine Phase des Ausprobierens. Es fühlt sich noch fremd an. Wir müssen jedes Mal darüber nachdenken, bevor wir in Aktion treten. Es ist noch nicht »natürlich«.
Ich nahm vor einer Weile Tangounterricht, und in der Tanzschule fiel mir ein Plakat auf mit den verschiedenen Phasen, die man dabei durchläuft:
1. Lernen der Schritte,
2. unbeholfener Gebrauch der Schritte,
3. bewusster Gebrauch der Schritte,
4. selbstverständlicher Gebrauch der Schritte.
So ging es mir bei allen meinen Veränderungen. Es braucht eine gewisse Übung, bis man sich neue Verhaltensweisen angewöhnt hat. Und manche Schritte – also Verhaltensweisen – wurden später modifiziert. Susanne und ich haben eine Weile zusammengearbeitet. Sie organisierte meine Buchtouren und Workshops und machte unser kleines Büro. Obwohl wir diese Zeit sehr genossen haben, merkten wir nach ein paar Jahren, dass wir lieber wieder nur als Schwestern miteinander sein wollen. Wir haben uns während unserer Kindheit überhaupt nicht vertragen, und diese Innigkeit, die wir nun schon lange haben, ist ein weiteres großes Geschenk, das nur durch unseren spirituellen Weg und den einen und anderen Stolperstein entstanden ist.