Leseprobe

Kein fliegender Wechsel

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Kein fliegender Wechsel
16,99 €

Jede Frau wird älter, fragt sich nur wie

Ich gehöre zum Anfang der Babyboomer-Generation. Der Weg in die Wechseljahre beginnt gerade für die meisten von uns. Ich gehe ihn schon seit ein paar Jahren und habe darüber ein sehr persönliches Buch geschrieben. Ich fing eine Art Tagebuch an – schreiben hilft mir – weil ich mit mir selbst nicht mehr zurecht kam. Mein Schreiben war Therapie für mich und erst nach einer Weile merkte ich, dass das, was ich geschrieben habe, auch anderen Frauen helfen kann.

Ich hatte meinen Elan und meine Lebenslust verloren und es war mir schleierhaft wo sie abgeblieben war. Ich wartete täglich, dass sie wiederkehrte. Aber sie kam nicht. Es hat ein paar Jahre gedauert bis ich mich jetzt wieder so fühle, wie ich mich kenne. Und in dieser Zeit habe ich einiges darüber gelernt. In diesem Buch beschreibe ich meinen Weg. Ich schreibe von meinen tiefen Tälern. Es ist kein trauriges Buch – dazu gibt es viel zu viele humorige Elemente – aber es ist ein intensives Buch.

Früher gab es die Wechseljahre nicht, weil sie kaum jemand so alt wurde, sie überhaupt zu erleben. Jetzt haben wir eine komplette Saison dazugewonnen, die wir mit Aktivitäten und Freude gefüllt haben wollen. Die Wechseljahre lassen sich nicht wegmeditieren. Wir müssen uns um uns selbst kümmern und dabei möchte dieses Buch unterstützen.

Herzlichst,

Sabrina Fox


Dies sind Ausschnitte aus dem Buch:

Inhalt:

  • Einweichen
  • Vorwaschen
  • Pflegeleicht
  • Erster Schleudergang
  • Noch mal Einweichen
  • Zweiter Schleudergang
  • Noch mal Vorwaschen
  • Handwäsche
  • Kochwäsche
  • Feinwäsche
  • Dritter Schleudergang
  • Stärken
  • Extra-Spülen
  • Spülstopp
  • Trocknen
  • Bügelfeucht
  • Flusenausspülen
  • Schranktrocken
  • Sortieren

Anhang
Dank


Der 55. Geburtstag

Ich glaube, ich war arrogant.

Anders kann ich mir das nicht erklären.

Ich habe wirklich gedacht, ich gehe einigermaßen elegant durch die Wechseljahre. Es sah ja am Anfang auch noch alles ganz danach aus. Ich war eigentlich zufrieden mit mir. Meine täglichen Meditationen, meine Liebe zur Stille, meine Kontemplation, mein Aufarbeiten, Aufräumen, Anschauen und neue Entscheidungen treffen hatten ihre Wirkung in meinem Leben hinterlassen. Es wurde eleganter. Es floss mehr. Weniger Drama. Weniger Unwahrheit. Weniger Anstrengung.

Ich dachte, das geht so weiter. Dachte wirklich, dass geht so weiter. Natürlich kommen gelegentliche Herausforderungen – das ist ja klar! – aber damit komme ich zurecht, denn ich habe das nötige Handwerkszeug dafür und kann die Gründe verstehen. Gründe warum sich Dinge verändern. Gründe warum mein Körper reagiert. Gründe warum meine Seele mir gerade diese Herausforderungen in den Weg legt. Gründe warum etwas fließt oder steckenbleibt.

Natürlich verstehe ich den Grund der Wechseljahre, aber das hilft mir hier nicht weiter.

Ist es das? Die Erkenntnis nichts tun zu können und sich entspannt damit abzufinden?

Oder sehe ich einfach nicht, was zu tun ist?

Normalerweise – wenn ich etwas erkenne und dann die dementsprechenden Konsequenten daraus ziehe – verbessert sich mein Leben und ein tiefes Gefühl des Wohlfühlens setzt ein.

Hier erkenne ich etwas, aber es nützt mir nichts. Es bringt mich nicht wirklich voran.

Ich stolpere eher zurück, hineinkatapultiert in eine komplett fremde Persönlichkeit. Ich beobachte mich und wundere mich nur noch.

Wer bist du?

Warum fühlst du dich so wackelig an?

Warum machst du nicht das, was du gut kannst?

Warum bewegt sich nichts?

Wo ist deine Lebenskraft geblieben?

Irgendwann muss das doch auch wieder aufhören, oder? Halte ich diesen Zustand noch ein, zwei, drei Jahre aus?

Alleine der Gedanke erschüttert mich.

Noch drei Jahre mit mir als fremder Person zusammenleben?

Nein.

Bitte nicht.


Mit 49 Jahren

Ich betrachte mich neuerdings in Teilen. Ich sehe nicht mehr den Gesamteindruck von mir, sondern nur noch Puzzleteile: die Falten da, die Schlaffheit dort. Hatte ich das schon immer? Plötzlich sind mir die Lichter im Bad zu hell und Fotos von mir nicht mehr schmeichelhaft. Ich schmeiße mehr in den digitalen Abfalleimer als jemals zuvor. Sehe ich wirklich so aus? Grelles Sonnenlicht macht mir auf Fotos mehr Falten. Sind das meine üblichen Lachfalten oder sind das Falten, die neu sind?

Um Himmels willen, was denke ich denn nur eigentlich? Ich will nicht, dass das Aussehen so wichtig ist. Ich will, dass meine Falten mir egal sind. Ich schreibe spirituelle Bücher, da geht es um die Unendlichkeit, und ich mache mir über meine Falten Gedanken? Habe ich sie noch alle?

Morgens früh im Bad:

Verstand:     Ich brauche ein anderes Make-up. Das deckt nicht mehr richtig.

Seele:           Hör auf, über Falten nachzudenken. Suche dir ein anderes Thema.

Verstand:     Vielleicht sollte ich die zehn 60-Watt-Glühbirnen im Spiegel doch mit 5-Watt-Birnen austauschen. Gibt es die überhaupt?

Seele:           Du weißt, dass du dich in einer nicht enden wollenden Gedankenschlaufe befindest, ja?

Körper:          Falls es jemanden interessiert: Mir geht’s gut.

Verstand:     Mir nicht! Ich hänge da irgendwo fest!

 

Ich bemerke zu meinem Schrecken, dass ich anfange mich mit anderen Frauen zu vergleichen. Als wenn ich auf Autopilot wäre. Sieht sie jünger aus, älter? Hat sie was gemacht? Wenn ja, was? Sieht man es? Ich habe mich bisher noch nie in Konkurrenz zu anderen Frauen gesehen. Ich bewundere andere Frauen und sage ihnen das auch – und plötzlich vergleiche ich mich mit ihnen. Was regt sich da nur in mir? Vor irgendetwas muss ich Angst haben.

Ich gehe in die Stille, ins Gebet, und fragte mich: „Wer in mir hat Angst vor dem Alter?“

In mir bin nicht nur ich. Jetzt. In diesem Moment. In mir sind auch alle anderen Sabrinas, die manchmal mehr oder weniger schmerzhaft etwas erlebt haben, dass sie mit sich mitschleppen. Die inneren Waisenkinder, das innere Kind – wie immer man das nennen will.

Früher habe ich einfach nur reagiert. Nicht wissend, wer in mir da eine so starke Reaktion hat. Dann habe ich gelernt nachzufragen. Denn alles was hochkommt, will betrachtet werden. Manchmal erkenne ich nicht, welcher Aspekt von mir sich da meldet und mich jetzt so irritiert.

Dann gehe ich in die Stille und suche und frage.

Eine Weile ist es still und dann kommt meine „Teenager-Sabrina“ hoch. Ich war ein unattraktiver Teenager. Übergewichtig. Bebrillt. Wir hatten zuhause kein Geld und ich keinen Geschmack. Meinen ersten Freund habe ich aus Verzweiflung erfunden und der erste lebendige Freund lies mich nach einem Monat sitzen. Ich fühlte mich damals unbeachtet, ungeliebt, uninteressant.

„Wird das jetzt wieder so?“ frage meine Teenager-Sabrina.

Ich spüre die Unsicherheit von damals in meinem Herzen. Es klopft wild. Ängstlich.

„Erinnerst du dich“, fragt sie mich, „wie das damals war? Erinnerst du dich, wie wir uns um jede Freundschaft bemühen mussten? Erinnerst du dich, wie alle Jungs immer nur nach deiner schönen Freundin Uschi gefragt haben? Erinnerst du dich, an all die Lügen, die wir erfunden haben, damit uns wenigstens ab und zu jemand zuhört? Erinnerst du dich, dass sich niemand für uns interessierte? Erinnerst du dich? Das passiert jetzt wieder! Wir müssen aufpassen! Ich habe Angst, wirklich ganz schreckliche Angst!“

Ich bin gerührt von meiner Teenager-Sabrina, die all die Jahre stillgehalten hat und sich jetzt plötzlich meldet. Ich tröste sie (mich) und erkläre ihr (diesem Waisenkind von mir), dass wir niemals wieder so aussehen werden wie in unserer Teenagerzeit. Und wir werden auch nie wieder so leben. Wir haben Freunde. Wir haben ein spannendes Leben, und wir – als Seele – sind für immer.

Sie beruhigt sich. Vertraut mir.

„Bist du sicher, ja? Wirklich sicher?“

„Ja. Ich bin sicher. Außerdem bin ich immer für dich da und ich verlasse dich nicht.“

Mein Herz klopft wieder normal.

Ich öffne die Augen und muss lächeln. Wer in der Pubertät so aussah wie ich, muss wirklich keine Angst vor dem Älterwerden haben. Schlimmer als damals kann es nicht werden.

Die Teenager-Sabrina hatte Angst, wieder hässlich zu werden. Und doch war meine Unattraktivität ein Glück. Männerblicke fallen mir dadurch selten auf, denn ich war sie während meiner prägenden Teenagerphase nicht gewohnt.

Für manche Frauen, die ihr ganzes Leben lang die aufmerksamen Blicke der Männer auf sich zogen, mag der Verlust ein herber Schlag sein.


Ich saß bei einem Abendessen einer wunderschönen Frau gegenüber. Sie muss wohl Mitte sechzig, vielleicht siebzig Jahre alt gewesen sein, und sie war eine außergewöhnliche Schönheit. Da ich auch Bildhauerin bin, konnte ich meine Augen nicht von ihr abwenden. Ihr fiel das natürlich auf, und so entschuldigte ich mich mit den Worten: „Es tut mir leid, aber ich muss Sie die ganze Zeit anschauen. Sie sind so schön!“

Sie warf mir einen traurigen Blick zu: „Ich war schön. Doch seitdem ich fünfzig bin, ist mein Leben vorbei.“

Sie sagte es mit solch einer herzzerreißenden Bitterkeit, dass ich spontan nachfragte.

„Was ist passiert?“

„Von da an schaute mir kein Mann mehr nach, wenn ich in den Raum trat.“

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Stammelte vor mich hin, dass das nicht stimmen kann, sie ist so wunderschön.

Doch es spielte keine Rolle mehr. Sie hörte mich nicht.

Ich war kein Mann.


Sie war eine schöne Frau. Wenig geschminkt. Guter Geschmack. Eine Lederjacke lässig um ihre Schultern geschmissen. Sehr kluge Augen. In die konnte ich ihr nicht schauen, denn ich blieb an ihrer aufgespritzten Oberlippe hängen.

Automatisch presse ich meine Lippen zusammen. Damit mir nichts herausrutscht. Kein: „Oh Gott, was ist das denn?“ oder ein „Warum um Himmels willen machst du das?“ oder „Glaubst du wirklich, dass das niemand sieht?“ oder „Das macht dich älter, nicht jünger“ oder einfach nur ein Flehen von mir: „Bitte, bitte mache das nie wieder!“

Alles an ihr war jung. Bis auf die Oberlippe. Ohne sie hätte ich die Besitzerin auf Anfang Dreißig geschätzt. Mit der Oberlippe auf Anfang 40. Sie war 32 Jahre alt.

Ich liebe Frauen! Ich finde Frauen faszinierend – Männer natürlich auch – aber die Nähe zu Frauen wärmt mich. Wenn eine Frau vor mir steht und sie hat Lippenstift auf den Zähnen, dann zeige ich ihr das diskret. Hat sie einen Fussel auf dem Mantel, nehme ich ihn weg. Ist etwas an ihr verschmiert, sage ich ihr das. Ich will dass sie toll aussieht. Ich finde es wunderbar, wenn Frauen schön sind. Schönheit in meinen Augen ist alterslos. Jedes Alter hat Schönheit. Das ist nicht nur ein Attribut der Jugend. Ich mache oft Komplimente und sagte ihnen wie schön oder entzückend oder bemerkenswert ich sie finde.

Nur hier, bei diesen aufgespritzten Lippen bin ich sprachlos. Meine Augen wandern wie magnetisiert immer wieder zur Oberlippe. Ich muss mich zwingen ihr in die Augen zu schauen und dann ertappe ich mich doch wieder dabei, dass ich ihre Oberlippe anstarre. Das muss doch der Besitzerin auffallen. Ich weiß, dass die Frau klug und witzig und gescheit ist. Ich weiß, dass sie belesen, erfolgreich und charmant ist. Doch es fällt mir schwer es wahrzunehmen. Ich bin abgelenkt! Von so einer blöden Oberlippe!

Vielleicht wisst ihr, wie man damit umgehen soll. Ich weiß es nicht. Bei meinen engsten Freundinnen – ein paar haben das auch mal ausprobiert – habe ich es einfach gesagt: „Du hast dir die Lippen aufgespritzt. Du siehst besser ohne aus.“

„Das sieht man nicht!“ meinte eine. „Doch, ich sehe das und wenn ich es sehe, sehen es die anderen auch und du siehst von der Seite wie Donald Duck aus.“

Ich weiß, dass jeder mit sich machen kann, was er will. Und doch tut es mir im Herzen weh, wenn „meine“ tollen Frauen sich so etwas antun. Bitte, bitte, hört auf damit! Ich will euch wieder in die Augen schauen können, ohne abgelenkt zu werden.


Ich liebe meine Hitzewallungen! Eine höhere Körpertemperatur hatte ich mir schon in der Schwangerschaft gewünscht, aber da war es nicht eingetreten. Jetzt endlich war mir meistens warm.

So warm, dass ich keine Kleider mehr anziehen kann, weil sich die nicht schichtweise ablegen lassen. Ich gewöhnte mir Feinripp-Unterhemden an. Ich liebe Feinripp-Unterhemden! Was bei Männern immer gewöhnungsbedürftig aussieht, fand ich an mir toll. Ich habe zehn davon. Enorm praktisch, weil ich alles was drüber ist (Blusen, Pullover, T-Shirt) mir einfach vom Leib reißen kann.

Im Bett habe ich mir auch die Laken-Version angewöhnt. Ein dünnes Laken. Zwei Kopfkissen. Ein Federbett. Zwei extra T-Shirts neben dem Bett. Platz am offenen Fenster.

Heiß: Federbett runter.

Kühl: Federbett rauf.

Schwitzen: T-Shirt wechseln.

Das alles ging nach ein paar Tagen schon im Halbschlaf – und mit dem Halbschlaf war ich ja neuerdings auch etwas vertrauter.

Ich, die häufig fror und meistens kalte Füße hatte, hörte plötzlich so Sachen wie: „Du glühst wie ein Ofen.“

Ich glühe wie ein Ofen.

Schön. Das erinnerte mich an den Film „Bettgeflüster“ mit Doris Day und Rock Hudson. Da sagte er mal zu ihr: „In ihrer Nähe fühlt man sich wie an einem bullernden Ofen an einem frostklaren Morgen.“

Endlich hatte ich was mit dem Idol meiner Kindheit Doris Day gemeinsam.


Einige meiner gleichaltrigen Freundinnen schüttelt es schon seit Jahren richtig durch: Unruhe. Sturzbäche von Schweiß. Schlaflosigkeit. Unwohlsein. Schwäche. Gereiztheit.

Wir kennen uns seit dreißig Jahren und ich sehe wie sie sich um Haltung bemühen. Humor hilft – aber eben auch nicht immer.

Manchmal ähneln unsere Gespräche denen im Arzt-Wartezimmer.

„Mit meiner Schilddrüse stimmt was nicht.“

„Mir fallen die Haare aus.“

„Ich habe keine Lust mehr.“

„Gestern habe ich meine Assistentin zur Schnecke gemacht! Ich! Stell dir vor! Ich musste zurück in mein Büro gehen und mich erst mal beruhigen und dann musste ich sie beruhigen. Ich und brüllen – das gibt es doch gar nicht, oder?“

„Ich blute irgendwie dauernd. Ich werde mir Tampons in der Klinikpackung zulegen.“

„Meine Zisten wachsen nach, als ob sie einen Gruppen-Discount bekommen würden.“

„Gestern beim Gehen hatte ich das Gefühl als würde meine Gebärmutter aus mir rausfallen. Ich habe so geblutet wie noch nie in meinem Leben.“

„Ich kann überhaupt nicht mehr schlafen.“

„Ich bin so gereizt, dass ich eigentlich eine Gefahr für meine Umgebung bin. Am besten ihr schaut mich nicht an. Oder noch besser: Ignoriert mich einfach.“

„Mein Arzt meint, ich habe Hoshimoto.“ (Ich hatte keine Ahnung was das war. Es klang nach einem japanischem Kleinwagen.)


Ich lese immer wieder von Menschen, die in der Hälfte ihres Lebens, ungefähr in meinem Alter, ihr Leben komplett ändern. Es gibt sogar eine extra Zeitschrift dafür: „VIVA“ beschäftigt sich hauptsächlich damit. Ich bin eine begeisterte Leserin und habe sie abonniert.

Die Lehrerin, die Fluss-Kapitän wird. Der Banker, der Gärtner wird. Die Bürokauffrau, die eine Boutique aufmacht. Die Bäckerin, die Model für Übergrößen wird. Der Zahnarzt, der Bildhauer wird.

Und ich? Ich will auch was anderes werden. Hey, da gibt es doch jede Menge Möglichkeiten, die ich noch nicht ausprobiert habe. Die Anderen machen das doch auch!

Wo ist mein geheimer Traum?

Wo ist mein ersehntes Ziel?

Wo ist mein neues Leben?


53.Geburtstag

Ich bin wie ein Buch, das nicht mit Leidenschaft gelesen wird, sondern das auf einem Gartentisch halb geöffnet herumliegt, während der Leser weggegangen ist, um sich einen Eistee zu holen oder sich mit dem Postboten zu unterhalten.

Ich bin halb gelesen. Mein Leben ist halb vorbei. Das heißt, falls ich nicht in nächster Zeit von einem Bus überfahren werde.

Ich suche nach meinen Sehnsüchten wie nach verlorenen Autoschlüsseln. Ich mochte meine Sehnsüchte nicht, während ich sie hatte: Die Sehnsucht nach einem perfekten Leben, nach perfekter Weisheit, nach dem perfekten Partner bis hin zu der perfekten Tasche. Sehnsüchte waren das Feuer unter meinem Hintern. Sie sorgten dafür, dass ich mich bewegte. Jetzt, da das Sehnsuchtsfeuer nicht mal mehr eine Glut ist, geht sie mir ab.

Was wird aus mir werden? An Ideen mangelt es nicht. Es mangelt an der Kraft und der Lust sie umzusetzen. Alle fünf Minuten kommt eine neue Idee und ich schaue sie an, für einen kurzen Moment interessiert, überlegend was daraus zu machen ist … und dann schaue ich ihr nach, wie sie wieder verschwindet.

Ich bin nicht in der Lage ihr nachzugehen.

Ich rufe ihr nicht nach, damit sie stehenbleibt.

Ich hebe nicht einmal den Arm um ihr zum Abschied nachzuwinken.

Was soll ich mit dem Rest meiner Zeit machen?

Soll ich mein Leben einem ehrenhaften Ziel widmen und wenn ja, welchem? Soll ich mich ganz auf meine Bildhauerei konzentrieren? Soll ich ein Hausboot kaufen, alles hier in ein Lager geben und darauf leben? Soll ich in die Politik gehen, um Dinge zu verändern? Soll ich mich um Kinder kümmern, die Nähe brauchen? Soll ich wieder für sechs Monate im Jahr nach Los Angeles ziehen? Soll ich aufs Land ziehen? In eine andere Stadt? Wenn ja, welche? Soll ich eine neue Ausbildung machen? Wenn ja, welche? Soll ich mit Freunden zusammen eine Kommune bilden? Wenn ja, wo? Soll ich mehr singen? Soll ich wieder Vorträge halten? Ein neues Buch schreiben? Meine Theaterstücke inszenieren? Alleine im Wald leben? Soll ich mich auf ein Minimum an Besitz reduzieren? Soll ich die Welt mit nur einem Rucksack erforschen?

Ich habe meine Begeisterung fürs Leben verloren. Da ist eine Leere entstanden und ich weiß nicht, womit ich sie füllen soll. Ich zögere. Ich warte. Warte auf Unbestimmtes. Beschäftige mich mit den üblichen Dingen, die erledigt werden müssen, aber alles ohne die Kraft, die mir so vertraut war. Die letzten fünfzig Jahre waren spannend und aufregend.

War es das jetzt?

….