Narben – sichtbares Zeichen unseres Wachstums

Es ist Sommer. Ich liege im Garten. Es vergehen keine zehn Minuten und da kommt es schon wieder: Das Gemecker in meinem Hirn, warum ich hier rumliege, wo ich doch ein Büro habe, es Dinge zu tun gibt und ich war doch erst zwei Tage beim Singen und ich doch die Akademie, die Wäsche und die Emails vorzubereiten habe.

Ich lache laut auf. „Du schon wieder.“ Früher hatte die Stimme mal einen Namen, doch an den kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Aber die Stimme, an die erinnere ich mich.

Sie hat mir früher vieles verdorben. Ich habe schöne Zeiten nicht genießen können, sondern plante zum Beispiel bei der Ankunft immer schon meine Abfahrt. Etwas genießen können, diese Begabung wurde in unserer Familie nicht gefördert. Es ging zu oft ums finanzielle Überleben. Meine Mutter war eine fleißige Frau und wenn mein Vater „faul“ war, war er dazu betrunken. Auch nicht wirklich ein gesundes Vorbild. Faul war … gefährlich. Erst später – durch eine Liebesbeziehung mit einem Mann der genießen konnte – fiel mir auf wie wenig ich mir erlaube zu genießen.

Mein Hirn war immer schon sehr aktiv. Das scheint nicht bei allen der Fall zu sein. Und ich meine das nicht ironisch. Offensichtlich hat das auch nichts mit Intelligenz zu tun.

Vor kurzem sprach ich mit einer Freundin über das Gehirn. Wir beide machten zusammen eine Rhythmustrainer-Ausbildung und übten für unsere Abschluss-Prüfung, die mit einem Konzert endete. Bei der Generalprobe kam ich in einen Rhythmus nicht hinein und machte Fehler. Sie auch. In der Pause erzählte ich ihr, was da in meinem Gehirn abgeht. Sie schaute mich überrascht an und meinte, alles was sie dachte war: „Ah geh, wie deppert.“

Und das war es dann auch.

In meinem hingegen begann ein ganzer Roman:

„Ich habe einen Fehler gemacht. Wieso komme ich da nicht in den Rhythmus rein? Ich konnte ihn doch die ganze Zeit. Ich habe doch so lange geübt. Hoffentlich bringe ich die anderen jetzt nicht raus. Okay Sabrina, konzentriere dich. Ob das mein Lehrer gemerkt hat? Wie hört sich das bloß jetzt für ihn und die anderen Studenten an? Wieso komme ich da nicht wieder rein? (Innerliches Lachen, weil ich meinen Gedankengängen zuhöre und dann beginnt ein Dialog:). Sabrina, alles entspannt, dann hat du eben einen Fehler gemacht, davon geht die Welt nicht unter. Also, schau mal ob du wieder reinkommst. Lass Dir Zeit. Langsam. Na also, geht doch.“

Wie ich all diese Gedanken in zwei Sekunden unterbringe, ist mir schleierhaft. Ich habe vor fünfzehn Jahren mal einen Abtitute-Test in den USA gemacht – dabei werden Begabungen festgestellt und meine Fähigkeit Assoziationen herzustellen, war außergewöhnlich. Tja, das hat Vorteile und Nachteile. Offensichtlich stellt mein Gehirn auch Assoziationen an, wenn das nicht notwendig ist und ein „Ah geh, wie deppert“ auch gereicht hätte.

Ich war völlig überrascht, dass sich nicht jeder so viele Gedanken macht. Man kennt ja in der Regel nur sein eigenes Gehirn. Ja, ich habe ein aktives Gehirn, das sich nicht gerne langweilt. Auch das hat Vor- und Nachteile. Jeder von uns hat bestimmte Begabungen und Herausforderungen und die gilt es zu erkennen. Ich lerne gerne und es ist für mich dringend notwendig – und zwar für mein Wohlbefinden notwendig – dass ich dem auch folge. Die Zeiten, in denen ich langsames „Im-Jetzt-Sein“ probiert habe, die haben mir keine Freude gebracht. Im Gegenteil – statt erleuchtet wurde ich deprimiert.

Mein Hirn braucht Stimuli.

Früher – ohne Meditation und Körpergefühl – war das extrem anstrengend, denn ich hatte damals keine Möglichkeit mich und mein Hirn zu entspannen. Es war immer auf 180. Ich fühlte mich „flirrig“, gehetzt, angestrengt, unzufrieden. Durch die Meditation gelang es mir, meinem Gehirn und meinem Körper die notwendige Ruhe zu vermitteln. Auch durch mein verbessertes Körpergefühl – welches ich mir mühsam antrainieren musste, denn ich hatte so gut wie keines – war ich Schritt für Schritt in der Lage zu merken, wenn es Zeit wird mich (und mein Hirn) zu entspannen.

Vielleicht haben Sie auch ein Gehirn das Anregung braucht? Vielleicht sind auch Sie schnell gelangweilt? Das ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes, wie es nicht zwangsläufig etwas Gutes ist.

 

Es ist wie es ist.

 

Wenn es unser Leben bereichert: Wunderbar. Wenn es anstrengend wird, dann braucht es Methoden zur Entspannung. So ein Mensch mag sich durch große Konzentration zu einem langsamen Leben zwingen können (das habe ich auch probiert) – aber Freude wird dadurch eben nicht zwangsläufig ins Leben gebracht. Man glaubt, man wird glücklich, wenn man langsamer wird (schließlich wird uns das immer wieder gesagt) und bestimmt können wir alle mehr Langsamkeit vertragen (!) – aber wieviel Langsamkeit ist eben je nach Person bzw. Gehirn unterschiedlich. Für den einen mag ein Leben in einer Hütte der Himmel auf Erden sein, für den anderen ist es eine Strafe. Und das mag mit der Zeit nicht besser werden, man hat sich eben damit abgefunden. Das Ergebnis ist, was zählt: Bringt es mir innere Freude oder eben nicht?

Ich habe gelernt, wenn ich meinem Gehirn gebe, was es zum Wohlfühlen braucht – in der richtigen Balance wohlgemerkt – dann fühle ich mich rundum wohl. Spannung und Entspannung. Geschäftigkeit und Stille. Bewegung und Ruhe. Wie vieles braucht es die für uns passende Mischung.

Manche hingegegen haben ihr Körpergefühl verloren. Sie erspüren sich nicht einmal mehr als gestresst und/oder angestrengt, denn der Zustand ist zum Normalzustand geworden. Da zeigt nur noch der Körper durch Magenschmerzen/Rückenschmerzen etc. das etwas nicht im Gleichgewicht ist. Wir haben ein dubioses Gefühl, dass mit uns etwas nicht stimmt. Wenn wir unsere Freunde oder unsere Familie fragen: „Welchen Eindruck mache ich auf Dich?“ können wir vielleicht mehr über uns selbst erfahren.

Die Erfahrungen, die uns geprägt haben – und die daraus resultierenden Gewohnheiten – verschwinden nicht von heute auf morgen. Die Stimme, die ich da in meinem Kopf hörte als ich in der Sonne lag, ist immer noch da. Sie kommt seltener und leiser. Und doch beeinflusst sie mein Leben nicht mehr. Ich stehe nicht wie früher sofort hektisch auf und stürze ins Büro. Ich weiß, wie wichtig es ist, dass ich Zeit in der Natur verbringe und so erkläre ich das dieser Stimme in mir.

Das scheint sie zu beruhigen.

Irgendwann einmal werden die Wunden in unserer Kindheit Narben. Narben, die uns gelegentlich daran erinnern, dass wir da mal eine schmerzliche Wunde hatten.

Sie beeinflussen unser Leben nicht mehr.

Jetzt sind sie sichtbares Zeichen einer Heilung.

 

 

 

 

 

4 Kommentare
  1. Claudia sagte:

    Hallo Sabrina
    Du suchst doch auch ein Haus. Wie funktioniert in diesem Fall das Gesetz der Anziehung bei einer Immobilie. Jeden Tag im Internet nachschauen, oder warten und dem Gefühl folgen?
    Gruß Claudia

    Antworten
    • Sabrina Fox sagte:

      Liebe Claudia, ich bin kein 100% Verfechter vom Gesetz der Anziehung. Es gibt noch andere Gesetze. Unter anderem das: Alles was ich mir wünsche/vornehme kann nur dann eintreten, wenn es meinem Seelenweg entspricht – also nicht nur der Idealvorstellung meines Verstandes/Ego/Willens. Was heißt das jetzt bezüglich Deiner Frage? Da gibt es den inneren Wunsch endlich „anzukommen“. Das neue Zuhause gefunden zu haben, denn wir warten ungern. Unser Verstand möchte Dinge erledigt haben. Es gibt immer wieder Häuser bei denen ich zwar das Gefühl habe, das könnte was werden, aber das liegt häufig daran, dass ich ein gutes Designauge habe und eigentlich jedes Haus schöner machen kann. Es geht aber hier auch um das Land. Die Umgebung. Das Wohlfühlen dort. Und bis ich kein lautes JA gehört habe, sage ich ab.
      Ich suche unterschiedlich. Ich verlasse mich da auf meine Intuition. Es gibt Tage da schaue ich mir die Vorschläge der gängigen Immobilienplattformen, die da per Emails kommen, kaum an. In mir ist ein Gefühl von „da ist nichts dabei“. Dann gibt es wieder Tage, da schaue ich genauer. Erzähle mehr in meiner Umgebung, dass ich was suche. Was ich allerdings jeden Tag mache ist mir in meinen Meditationen die Zeit zu nehmen, mir vorzustellen ich habe das ideale Zuhause schon gefunden! Das wichtigste ist das Gefühl dabei. Also ich erinnere mich an all die Momente, in denen ich ein neues Zuhause gefunden habe und die Freude, die ich dabei erlebt habe und darin schwelge ich darin für eine Weile. Ich weiß ja, dass es kommen wird. Es ist immer gekommen.
      Ein neues Zuhause suchen, ist eine Übung in Geduld. Diesen Weg gilt es zu gehen. Da gibt es keine Abkürzungen. Wie Italienisch lernen, wie Abnehmen, wie Fensterputzen. Das geht nicht kürzer. Es dauert so lange wie es dauert …
      Jeden Tag erinnere ich mich daran, dass ich JETZT GERADE ein schönes Zuhause habe. Dass mir JETZT nichts fehlt. Und das andere wird sich dann entwickeln, wenn es sich entwickelt. Das klingt jetzt einfacher als man das erlebt. Natürlich gibt es Momente in denen man frustriert ist, es eben erledigt haben möchte, damit man sich wieder mehr um etwas anderes kümmern kann. Wohnung/Haus-suchen kostet Zeit. Und so ist es oft ein inneres Gespräch zwischen Willen und Seele. Gott sei Dank gewinnt die Seele ;-) – und das macht es dann wieder ruhiger …
      Viel Erfolg Auch Dir beim Finden.

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      • Claudia sagte:

        Hallo Sabrina.
        Vielen herzlichen Dank für Deine Antwort.
        Dieser Satz:“ Dass mir JETZT nichts fehlt“ ist ein AHAH für mich. Ich war zu oft im Mangel, weil es immer noch nicht da ist. Daran werde ich mich ab sofort erinnern.
        Danke vielmals.
        Eine schöne Zeit noch

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  2. Claudia sagte:

    Hallo Sabrina
    Am 2. September kommt auf ARTE eine Doku “ Vererbte Narben“ Darin heißt es: Unerklärliche Ängste, Albträume, familiärer Stress und seelische Traumata – viele Menschen leiden unter diesen psychischen Erkrankungen, auch wenn ihnen selbst nichts Schreckliches widerfahren ist. Grund: Derartige Symptome können durch Erfahrungen der Eltern ausgelöst werden. Zitat ENDE
    Könnte Interessant sein, um wieder einiges besser zu verstehen, warum es im Leben so läuft, wie es läuft.
    Gruß Claudia

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