Familienerbe…

Dieser Blogeintrag ist inspiriert von meiner fast 90jährigen Mutter. Sie erlaubt mir, dies zu teilen. Heute war sie zu Besuch. Da sie häufig die Beine hochlegen muss, sieht sie dabei gerne fern. Ich fragte sie, ob sie das normale Programm oder lieber einen Film ansehen möchte. Sie möchte lieber einen Film sehen. Ich schaute auf Netflix nach. Ich zeigte ihr eine Auswahl und fragte sie immer wieder „Was hältst du davon?“ Ihrem Gesichtsausdruck zu deuten, war noch nichts Richtiges dabei. Dann landeten wir bei einer Serie und sie meinte: „Ja, warum nicht.“ Ich schlug vor mal reinzuschauen und wenn es ihr gefällt, dann würden wir dabei bleiben. Ich setzte mich zu ihr aufs Sofa und wir schauten fern. Kurz danach fragte ich sie: „Und? Willst du weiterschauen?“ „Ja“, sagte sie. Wir schauten weiter. Ich sah auch immer mal wieder zu ihr hinüber, denn ich kenne sie ja. Sie lächelte und verfolgte die Serie neugierig. Wir schauten weiter. Zwanzig Minuten später rührte sich meine Intuition und ich fragte sie noch mal: „Gefällt sie dir? Magst du sie weiter anschauen?“
Sie zuckte mit den Schultern: „Wenn du sie gerne ansiehst, dann schaue ich sie auch an.“
In mir zuckte es. Jetzt sind wir trotz meines permanenten Nachfragens wieder mal in Mamas Lebensthema gelandet: Wahrhaftig sagen, was man möchte. Und nachfragen, ob der andere wirklich das denkt, was angenommen wird.
„Mama, es ging darum was Du sehen möchtest, nicht was ich sehen möchte. Es war nicht mein Wunsch fernzusehen, es war deiner.“
„Ich dachte, Du möchtest sie gerne sehen und dann schaue ich sie eben mit.“ Für sie war es kein großes Ding. Für mich schon. Ich versuche immer noch – manchmal frage ich mich ob ich lernfähig bin – ihr das abzugewöhnen.
„Mama, ich habe Dich gefragt was Du sehen willst. Erzähl mir, wieso du glaubst, dass ich das sehen will? Und warum hast Du mich denn nicht gefragt, ob ich das auch wirklich denke?“
Sie lachte. „Du kennst mich doch.“

Ja. Ich kenne sie und ihr kenne ihr Lebensthema. Ich habe es geerbt.
Wir sprachen darüber, wie wir schon duzende Mal darüber gesprochen haben. Ich gebe gerne zu, dass ich davon gelegentlich frustriert bin, aber ich versuche den Humor zu behalten. Meine Mutter ist fast 90 Jahre alt. Vieles hat sie in Ihrem Leben verstanden und verändert.
Das nicht.
Ich durfte erkennen, dass ich und meine Schwestern dieses „Familien-Erbe“ verändert haben. Wir haben – manchmal mühsam, manchmal schmerzlich und doch Schritt für Schritt – gelernt uns auszudrücken. Es ist nicht nötig dieses Erbe/diese Themen bis ans Ende des Lebens mitzuschleppen. Wir können es verändern. Und doch sehe ich am Leben meiner Mutter was passiert wenn man es eben nicht verändert.

Vor einiger Zeit sprachen wir darüber, dass meine Mutter so gut wie nie Fragen stellt. Das liegt daran, dass ihre Mutter ihr das Fragenstellen mit den Worten: „Musst Du immer so neugierig sein?“ – „Das geht dich überhaupt nichts an!“ – „Jetzt sei doch mal still!“ abgewöhnt hat. Meine Mutter hat die neugierigen Fragen ihrer Kinder so schon nicht mehr beantwortet und uns damit die Möglichkeit gegeben entspannt und selgstverständlich zu fragen.
Bis zu dem heutigen Tag ist im Kopf meiner Mutter die Stimme ihrer Mutter lebendig. 70/80 Jahre später reagiert sie noch so, wie ihre Mutter es ihr damals eingeimpft hat.
Wollen wir das auch so erleben?
Wir haben die Wahl: Will ich das behalten? Oder möchte ich es verändern? Dazu braucht es immer die Erkenntnis, dass es veränderbar ist. In unserer Familie kann man das sehen: Von einer Generation zur nächsten wurde es verbessert. Es ist also machbar.

PS: Da mir das Thema sehr am Herzen liegt, gebe ich dazu in Hamburg (11. und 12. Februar) und in Hannover (5. Februar) einen Workshop: „Wie sage ich es?“

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