Einsamkeit

Immer wieder liest und hört man davon, dass sich viele von uns einsam fühlen und es klingt jedes Mal wie eine Krankheit. Da gibt es in uns dieses Gefühl, das anscheinend nicht „gut“ ist und das wir loswerden wollen – oder sollen.

Einsamkeit. Klingt schon mal nicht verlockend. Klingt so, als würde man mit uns nichts zu tun haben wollen. Alle haben uns verlassen und niemand interessiert es, was mit uns passiert. Einsamkeit klingt nach traurigem Leben. Keinen Freunden. Niemand dem wir wichtig sind. Nach Verlassen werden. Nach nicht dazugehören.

Ein Zustand, den es zu vermeiden gilt. Oder?

Wir loben die Zweisamkeit, die Paar-Beziehung, langjährige Ehen – doch selten wird jemand gelobt, weil sie oder er alleine glücklich lebt. Komischerweise glaubt man das oft nicht. Es wird vermutet, dass die- oder derjenige sich mit der Situation eben arrangiert hat und sich im tiefsten des Herzens doch nach etwas anderem sehnt. Interessant, nicht wahr?

Woher kommt das? Für unsere Vorfahren war alleine sein auch gefährlich. Sie mussten in Gruppen zusammenleben, um sich gegenseitig zu schützen und abzusichern. Das Überleben hing davon ab, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Früher (und in manchen Teilen unserer Welt immer noch), brauchte eine Frau einen männlichen Beschützer. Diese Ur-Ängste und Ur-Erfahrungen sind in unserem Reptiliengehirn und Säugetiergehirn verankert und werden gelegentlich getriggert: Eben dann, wenn wir alleine sind und noch nicht erfahren haben, dass dieser Zustand früher zwar gefährlich war, heute es aber (in den meisten Fällen) nicht mehr ist.

Das erfährt man aber nur, wenn man sich auf diesen Zustand einlässt und ihn mal ausprobiert. Und dadurch auch erkennt, dass wir nicht verloren sind, nur weil gerade kein anderer Mensch in unserer Umgebung ist.

Manche möchten dieses Gefühl der Einsamkeit unbedingt vermeiden.

So sehr, dass sie sogar bereit sind sich selbst unglücklich zu machen und in schmerzlichen Beziehungen verharren, sich schlecht behandeln lassen … nur um nicht alleine zu sein.

Wieder andere glauben, dass „Andere“ für unser Wohlbefinden und unsere Unterhaltung zuständig sind. Dass jemand anderer (Familie, Freunde, Kollegen, die Menschheit an sich) dafür sorgen soll, damit wir nicht alleine sind. Da wird gewartet, dass sich jemand anderer erbarmt, sich kümmert, endlich mal für uns da ist. Das wird auch gelegentlich scharf eingefordert: „Warum kümmerst Du Dich nicht?“ Wir wünschen uns unsere Kindheit zurück, in der es (im Idealfall und für ein kindliches Aufwachsen lebensnotwendig) immer jemand gab, der sich um uns kümmert. Denn wir konnten uns nicht alleine um uns kümmern. Wir brauchten jemanden, der uns versorgte, ernährte und beschützte.

Es ist aber unsere Aufgabe als erwachsener Mensch unser Leben so zu gestalten, dass wir uns darin wohl fühlen. Und wenn wir uns nach Gemeinschaft sehnen, dann braucht es eigene Schritte. Wir können uns aufmachen, um nach Gemeinschaften zu suchen, die zu uns passen – oder aber stöhnen, dass sich niemand um uns kümmert.

Je früher wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir uns alle im tiefsten unseres Herzens einsam fühlen, desto leichter wird unser Leben.

Einsamkeit lässt sich nicht vermeiden.

Das ist wie atmen. Ohne Atem können wir nicht leben. Ohne das Gefühl des Alleine seins können wir keine menschliche Erfahrung machen.

Natürlich fühlen wir das nicht immer. Sind wir in einer zärtlichen Umarmung, erfreuen uns an unseren Liebsten, sitzen gemütlich mit Lieblingsmenschen zusammen – all das gibt uns ein Gefühl der Zugehörigkeit. Und doch, wenn wir dann nach Hause gehen, alleine in den Sternenhimmel schauen, uns der eine oder andere Gedanke beschäftigt oder betrübt, dann erspüren wir es wieder: Ich bin doch alleine.

Ja. Das sind wir alle. Und das ist nicht falsch.

Aber halt! Sollen wir nicht alle spüren, das wir „eins“ sind? Und ist das nicht doch die falsche Richtung?

Das eine schließt das andere nicht aus. Wenn wir einem Musikstück zuhören, dann mag der Klang harmonisch sein, aber trotzdem wird er durch einzelne Instrumente erschaffen. Jedes dieser Instrumente steht für sich alleine und hat eine bestimmte Qualität, eine Schwingung, einen Klangkörper und klingt eben auch alleine schön. Gemeinsam wird es ein anderer Klang. Voller. Vielleicht monumentaler. Und doch kann das geübte Ohr unterschiedliche Klänge heraushören. Jedes Instrument ist einzigartig.

So wie wir.

Damit wir eine menschliche Erfahrung machen, braucht es einen Körper. In dem Leib unserer Mutter erspüren wir die Verbindung und doch – sind wir da schon „alleine“. Wir bewegen uns alleine. Wir entwickeln uns alleine. Wir wachsen alleine. Ja, alles mit Hilfe der Mutter und den Nährstoffen, die sie uns durch ihren Körper schenkt und doch ist es unsere eigenständige Entwicklung.

Das hört nicht auf, nur weil wir geboren werden. Wir verstehen, dass wir die Mutter und ihren geschützten Raum verlassen müssen, um unser Leben „alleine“ zu gestalten. Auch da hoffentlich mit zärtlicher und aufmerksamer Unterstützung – was nicht jeder und jedem von uns zuteil wird.

Haben wir in jungen Jahren ständig Zurückweisung, Schmerz und Abwertung statt Liebe und Aufmerksamkeit erfahren, so glauben wir, dass unser Gefühl des „Alleinseins“ daran liegt. Kein Wunder also. Wären wir „besser“ gewesen, hätten wir aufmerksamere Eltern gehabt, wäre unser Leben anders verlaufen, dann würden wir uns nicht einsam fühlen.

Sind wir mit Liebe überschüttet worden und fühlen uns „trotzdem“ einsam, denken wir: „Mit mir stimmt was nicht! Ich habe doch alles? Warum fühle ich mich trotzdem einsam?“

Wir fühlen uns alle gelegentlich einsam.

Wir machen diese menschliche Erfahrung alleine. Es war unser Wunsch aus der Gemeinsamkeit (Wir sind alle eins), in die „EINsamkeit“ zu gehen. Wir haben das Meer verlassen (das Alles-was-ist), um wie ein Tropfen zu erleben, wie es ohne das Meer ist. Dies ist eine singuläre Erfahrung. Um dann (durch inneres Wachstum) zu erkennen, dass wir – als Tropfen – das Meer in uns tragen.

Dazu haben wir uns aus dieser Verbindung – also von der Gemeinsamkeit – in das alleine erleben hineingewünscht. Wie fühlt es sich an „all-eins“ zu sein? Kann ich in mir Heimat finden oder brauche ich ständig von Außen Betreuung? Bin ich in mit mir selbst glücklich oder bin ich nur „glücklich“ mit Ablenkung von Anderen? Brauche ich Zerstreuung und Amüsement, um mich von meinem eigenen Sein durch Stories, Klatsch, Drama, Neuigkeiten abzulenken?

Das Leben wird alleine gestaltet. Ja, wir können uns Unterstützung holen, ja wir können uns anlehnen, aber in unseren Gedanken, unseren Gefühlen und in unserem Körper sind wir allein (All-Eins). Noch zu viele von uns machen enorme und schmerzliche Kompromisse für eine Gemeinsamkeit, die uns nicht nährt, sondern an uns zehrt.

Wir erkennen mit den Jahren, dass wir für unser eigenes Leben zuständig sind.

Wir erkennen die Wahlmöglichkeiten, die wir haben und wie wir unser Leben und unser Sein bisher gestaltet haben – und weiterhin gestalten möchten. Wir übernehmen entweder die vollständige Verantwortung für uns oder eben nicht. Falls nicht, geben wir damit auch unsere Kraft ab und das Wissen, dass wir die Schöpfer unseres Lebens sind. Dann sind die anderen die Mächtigen – und dann sind wir nicht mehr selbst mächtig genug, für uns einzustehen, sondern sie haben „Schuld“, dass es uns nicht gut geht.

Manche wünschen sich Kinder, damit sie sich nicht mehr alleine fühlen. Kinder sind dazu ideal, denn sie lieben uns gleich von Anfang an und werden das auch weiterhin tun, wenn wir einigermaßen passable Eltern sind. Und mit Kindern sind wir beschäftigt. Wir kommen gar nicht dazu, uns einsam zu fühlen, sondern im Gegenteil: Wir wünschen uns mal Zeit alleine. Aber … bitte nicht zu viel. Immer nur so viel, dass wir das Gefühl bekommen, wir können zwar ausatmen, aber wir wollen uns auf gar keinen Fall alleine fühlen.

Dann kommt das „Emty-nest-Syndrom“, wenn die Kinder das Haus verlassen und ihr eigenes Leben gestalten möchten. Für viele ist dies wie eine Scheidung: Wir fühlen uns verlassen – selbst von den eigenen Kindern. Das Gemeinsame war zur Gewohnheit geworden. Wir haben uns selbst kaum mehr erspürt, weil wir so beschäftigt waren. Und jetzt kommt das Gefühle wieder hoch: Ich bin einsam…

Ich habe mal wieder meine Patientenverfügung überprüft. Ich glaube zwar nicht, dass ich die letzten Tage und Stunden meines Lebens nicht mehr in der Lage sein werde, meine Wünsche zu artikulieren, aber manche Dinge (wie die Patientenverfügung) habe ich trotzdem, obwohl ich vor habe, gesund zu sterben. Ich habe meiner Patientenverfügung etwas für mich wichtiges hinzugefügt: Meinen Wunsch alleine zu sterben. Klar kann mich jemand besuchen und von mir Abschied nehmen und ja, es kann auch meine Hand gehalten werden und doch möchte ich weder eine Rundumbetreuung, noch dass jemand die ganze Zeit in meiner Nähe ist. Das will ich in meinem Leben nicht und das will ich auch nicht, wenn ich sterbe. Ich will beim einschlafen auch nicht, dass jemand dauernd meine Hand streichelt und mir sagt, wie nett es mit mir war. So kann ich nicht einschlafen.

Ich will in Ruhe und alleine sterben.

In einer Partnerschaft, in der die Einsamkeit und das Alleine-Sein des Anderen geschätzt wird, gibt es eine entspannte Gelassenheit. Wenn ich ein paar Stunden in Stille im Garten sitze und meditiere, dann sieht mein Liebster das und sorgt dafür, dass ich nicht gestört werde. Er weiß, wie wichtig mir diese Stille ist und wenn ich sie wieder verlasse, bin ich wieder aufmerksam da. Aber ich brauche diese Zeit, wie er sie auch braucht.

In der Einsamkeit begegnen wir uns selbst.

Da gibt es nichts, was uns ablenkt. Wir haben tief in uns die Quelle, aus der wir uns nähren und in der wir uns nie verlassen fühlen. Im Gegenteil: Wir fühlen uns angekommen.

Wir alle kennen das: Wir kommen von einer Reise zurück und sind endlich wieder zuhause. Da gibt es eine enorme Erleichterung und Vertrautheit. Es ist alles da, wie ich es mag und kenne: Mein Bett, mein Wohnzimmer, meine Lieblingsdecke.

Und so ist es auch mit der Einsamkeit. Wäre es nicht erleichternd, wenn wir wissen, dass es normal ist, dass wir uns alle hin und wieder einsam fühlen? Und noch dazu wenn wir wissen, wie wichtig das für uns ist?

Wir fangen dann bewusst an, mit der einzigen Person eine glückliche Beziehung zu führen, die uns unser ganzen Leben begleiten wird: Uns selbst.

Wenn wir dann erkennen, dass wir uns die beste Freundin, der beste Freund sind, dann ist uns unsere stille Zeit so wertvoll, dass wir sie zu verteidigen beginnen. Nirgendwo sonst fühlen wir uns so wohl wie in und mit uns selbst.

 

Die Einsamkeit. Ein Reiseziel, dass sich lohnt …

 

 

 

 

12 Kommentare
  1. Heidrun sagte:

    Einfach Klasse, Sabrina,
    herzlichen Dank für diesen Artikel.
    Vielleicht eine kleine sanfte Korrektur: Wenn uns unsere stille Zeit nicht „wertvoll“ ist, sondern einfach nur „willkommen“,
    dann kann sie auch keine „Feinde“ haben, gegen die man sie verteidigen müßte..
    Liebe Grüße
    Heidrun

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  2. Christiane Kunze sagte:

    Liebe Sabrina,
    ich danke Dir für Deine Worte über die Einsamkeit,
    sie kommen genau im richtigen Moment zu mir.
    Danke und alles Gute für Dich!
    Christiane

    Antworten
  3. Silke Grünberg sagte:

    Liebe Sabrina, mit dem Thema “ Einsamkeit“ bin auch ich immer wieder konfrontiert und beschäftigt.
    Danke für deine Gedanken zu diesem Thema und beruhigend, dass es sich sehr lohnt , mit sich in aller Stille zu sein und zu lernen, es mit sich gut zu haben. Liebe Grüße, Silke

    Antworten
  4. Maryvonne sagte:

    Liebe Sabrina
    Herzlichen Dank für deine Newsletter, Bücher, Videos. Ganz speziell zu diesem Thema. Ich lebe glücklich alleine und kommuniziere dies auch ab und zu. Ich fühle mich in meinem Leben und mit mir selber wohl, und das schon lange. Meistens glaubt man mir nicht, obwohl es doch offensichtlich ist.
    Es war ein ganzes Stück Weg mit viel Arbeit an mir selber bis zu diesem Glück einer tiefen inneren Freundschaft und Frieden. Ich habe mich befreit von allen kollektiven Vorstellungen und Dogmas davon wie es richtig wäre. Ich bin in die Eigenverantwortung gegangen in jeder Hinsicht. Dieses Glück des All-Eins-Seins wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Es hat auch Disziplin gekostet.
    Auch ich verteidige meine stille Zeit, ab und zu notwendigerweise mit Vehemenz. In letzter Zeit wollen mich dauern irgendwelche Leute für das Thema Wohngemeinschaft begeistern, oft mit konkreten Ideen in welcher Funktion ich mich dann endlich sinnvollerweise in der „Gemeinschaft“ einbringen könnte. Ein klares Nein genügt dann meistens nicht und ich muss mich wieder verteidigen und ganz konkret erklären. Trotzdem bleibt mir die Verwunderung. Ich jammere nicht, ich habe keine Ängste, ich bin nicht verbittert. Ich bin ein aufgestellter, fröhlicher Mensch, der in der Gemeinschaft einen grossen Beitrag leistet. Dafür hätte ich es verdient gefeiert zu werden, aber ich feiere mich auch gerne alleine.
    Liebe Grüsse
    Maryvonne

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    • yela sagte:

      @ maryvonne,

      mir geht es ähnlich….. :)

      wir leben in einer extrovertierten welt, wo viele gar nicht mehr fähig sind, ihr leben ohne partner zu gestalten.

      wie oft musste ich schon hören…..und: was macht die liebe? darauf kam dann immer ein herzliches in die augen blicken, ein zwinkern und die antwort: ich liebe mich selbst!

      meine freundin will mich auch immer in gemeinschaften drängeln……..eine extrovertierte kleine plaudertasche…..und versteht gar nicht, daß das nicht mein ding ist.

      @ sabrina

      wie wär`s mit einer zusammenkunft der „solitäre“ einem treffen in deiner akademie…………….es ist so schön geworden, und ich hatte mich schon auf ein paar veranstaltungen gefreut. bin nicht so der online-typ. denn…..auch einzelgänger freuen sich am austausch mit gleichgesinnten……

      herzlichst
      yela

      Antworten
      • Maryvonne sagte:

        Liebe Yela. Vielen Dank für deine lustige Antwort und für den „Solitär“. Das Thema liesse sich unerschöpflich diskutieren. Ein neues Buch von Sabrina wäre es auf jeden Fall wert. Herzlich Maryvonne

        Antworten
      • Sabrina Fox sagte:

        Liebe Yela, das ist eine gute Idee. Ich mache die nächste Zeit keine von mir begleiteten Kurse. Also falls sich jemand von Euch Yelas Vorschlag anschließen möchte, meldet Euch bei mir und ich kann Euch dann zusammenbringen.
        Herzlichst,
        Sabrina

        Antworten
  5. Maryvonne sagte:

    Gerne teile ich mit euch meinen Blog zum Thema Einsamkeit aus meinem privaten Lebensbuch in das ich ab und zu schreibe und dann wochenlang auch wieder nicht. Es braucht auch ein bisschen Mut das zu tun. Dies ist meine Wahrheit, daran glaube ich und daran, dass jeder Mensch ein Recht auf seine eigene Wahrheit hat. Unsere Wahrnehmung erschafft unsere Realität. Jede Realität ist persönlich und hat Respekt verdient, denn sie ist etwas Lebendiges, dass sich wieder verändern kann.
    Einsamkeit
    Die Einsamkeit begleitet mich durch dieses ganze Leben. Wie ein roter Faden, war sie bei mir von dem Moment an indem der kleine göttliche Funke das heranwachsende Wesen im Bauch meiner Mutter beseelte. Obwohl ich die Einsamkeit als roter Faden bezeichne, veränderte sich die Farbe wie etwas Lebendiges, das zu mir gehört, aber auch ein Eigenleben hat. Einmal ist sie Pink mit funkelnden Gelbnuancen. Ich kann auch mit mir selber lachen. Mal zeigte sie sich in einem düsteren Grau oder Rot wie das Blut einer offenen Wunde. Dann wieder in einem satten Grün mit dem Duft einer Arve oder in einem beruhigenden Blau wie ein stiller Bergsee. Wie eine Partitur aus einzelnen Gefühlsstimmungen komponierte die Einsamkeit das Lied dieses Lebens.
    Ich ging oft in Trance. Sogar in der Schule während dem Unterricht ertappte ich mich dabei, wie ich aus dem Fenster starrte in meiner Gefühls- und Gedankenwelt versunken. Ich lebte oft in meiner eigenen Dimension. Es war gut und schön zu Träumen. Ich liebte diesen Zustand, den ich ganz alleine nur für mich hatte. In den niemand einfach eindringen und ihn verändern, manipulieren, optimieren konnte wie das im kollektiven Bewusstsein so ist. Man könnte also sagen, dass ich immer schon gerne alleine war. Obwohl, ich hätte gerne jemanden gehabt, der mir auf Augenhöhe begegnet und nicht auf mich herunterschaut. Wir schauen oft und gerne auf andere herunter, nicht nur auf Kinder. Damit machen wir Menschen einsam im negativen Sinne.
    Schon als Kind liebte ich das Sein in meiner eigenen Welt, insbesondere in der freien Natur mit ihrer Schönheit, der Wärme der Sonne und mit ihren wunderbaren Düften. Ich war oft alleine wie verzückt und verzaubert. Als kleines Mädchen lief ich durch die Beerensträucher meines Grossvaters und erfreute mich an den lockenden Früchten von denen ich mich selbstverständlich bedienen dufte. Ich war gerne alleine und fühlte mich glücklich dabei.
    Ich erinnere mich an den Frust und Ärger in sehr engen räumlichen Verhältnissen eines Wohnblocks aufwachsen zu müssen. Ich litt darunter keinen Frei- und Ruheraum für mich ganz alleine zu haben. Ich erinnere mich wie ich es hasste wenn Erwachsene ohne jeden Respekt auf enge Tuchfühlung gingen. Manchmal zwickten sie mich in die Wangen oder Ärmchen und erfreuten sich an der Wut des kleinen Mädchens. Vielleicht war ich anders und trotzdem völlig normal. Ein Menschenkind wie alle anderen.
    Ein junger Mann mit Asperger Tendenzen, den ich beruflich begleitete erzählte mir, dass er am liebsten alleine sei. Als perfekten Zustand stellte er es sich vor an zwei Tagen pro Woche 3-4 Stunden mit anderen Menschen zusammen zu sein. Für ihn bedeutete ein familiäres Frühstück schon einen Stressfaktor. Seine Lösungsstrategie als Mensch in für ihn turbulentem Umfeld war Marihuana. Damit hielt er Menschen aus, wie er es formulierte. Den emotional sehr engagierten Begleitern in einer Eingliederungsstätte habe ich einen freundlich sachlichen Umgang empfohlen und dass er sich auch zurückziehen darf. Damit haben wir Mühe, weil solche Menschen in unseren Augen Aussenseiter sind und wir es doch nur gut mit ihnen meinen. Das neue Zauberwort heisst Inklusion und Integration. Leider gehen wir damit in ihrer Erwartung wieder oft ins Extrem. Wir folgen immer einem Trend und erkennen die Vielfalt nicht oder reden sie krank. Geschweige davon, dass wir sie respektieren. In dieser Gesellschaft tut es not die Vielfalt zu respektieren sei es gegenüber einer Hautfarbe, Körper, Alter, Körpergewicht, Ausdruck, Orientierung, Lebensform usw. Wir haben uns enge Schubladen geschaffen und picken diejenigen Tod die nicht darin passen. Ein uraltes Spiel mit unzähligen Formen und Regeln, dass wir loslassen können. Der Schlüssel ist ein offener Geist der dazu in der Lage ist die engen Grenzen des Kollektivbewusstseins aufzusprengen. Wir können Pioniere eines neuen Bewusstseins sein, oder weiterhin den alten stinkenden Mist vor uns her karren. Es ist eine ganz persönliche Entscheidung ein Freigeist zu sein oder zu werden. Uns von anderen inspirieren zu lassen. Uns erlauben improvisieren zu dürfen. Die persönliche Entwicklung zu einem Freigeist, geht über die Erfahrung der Einsamkeit. Das Aussteigen aus dem kollektiven Bewusstsein in die eigene Dimension wo man wirklich selber denken und vor allem sich persönlich, menschlich, sozial entwickeln kann, weit über die gängigen Normen und Möglichkeiten hinaus.
    Was macht ein Unterschied darin ob Einsamkeit ein Gefühl des Leidens oder ob Alleine sein ein glücklicher Zustand sein kann? Ich glaube nicht, dass das Bedürfnis nach Einsamkeit bei manchen Menschen sich mit einem introvertierten Wesen erklären lässt. Ich habe beobachtet, dass in Paarbeziehungen meistens einer im Wesen intro- der andere extrovertiert ist. Die Leute sagen dann: „Er bringt Ruhe in ihr Leben.“ Das Bedürfnis nach Austausch- und Gemeinsamkeit ist normal und wichtig. Wir spiegeln uns unser Wesen. Wir lernen voneinander. Haben schicksalsbedingte Vereinbarungen wie das jüdische „Beschert“, das Konzept eines von Gott bestimmten Seelenpartners. Aber, man kann auch mit einem Partner oder mitten im menschlichen Trubel im negativen Sinne einsam sein, dann wenn man niemanden hat auf gleicher Augenhöhe. Viele Menschen entwickeln Süchte aus Gefühlen der Zurückweisung und Einsamkeit. Ich glaube, dass die Entwicklung zu einem glücklichen Einsam sein auch eine Frage des Seelenalters ist.
    Ich wurde programmiert auf Gemeinsamkeit und Gemeinschaftssinn. Als Frau meiner Generation wurde mir sehr deutlich klargemacht, dass mein einziger Lebenssinn darin bestand zu Heiraten und Mutter zu sein. Ich war geboren dazu für alle die Martha, „Schutzheilige der Hausfrauen“ zu machen. In der Rolle der Dienerin zu kochen, zu putzen, mich zu kümmern und mich mit einem Ehrentag pro Jahr zufrieden zu geben. Ich nenne es das „Marthasyndrom“ weil es immer noch weitverbreitet ist. Mit Staunen stelle ich fest, wie viele auch junge Menschen mir immer wieder diese Rolle zuweisen möchten „du könntest ihm doch den Haushalt machen und koche, du kochst doch so gerne“. Film und Fernsehen tun ihr Bestes uns dieses einzig selig machende Glück der Zweisamkeit einzureden. Diese kollektive kulturelle Programmierung wirkte bei mir insofern, dass ich ein emotionales Leiden im Alleinsein entwickelte. Das mit dem Heiraten hatte bei mir ja nicht funktioniert. Viele Jahre lang wollte ich dem Ideal dieser Norm entsprechen und auch gerne Ehefrau und Mutter sein. Irgendwann wollte ich nur noch Ehefrau sein. Irgendwann wolle ich einfach nur noch wenigstens einen gottverschissenen Partner haben. Der wurde mir dann vom Schicksal präsentiert. Die Geschichte hielt drei Tage und traumatisierte mich drei Monate. Wie es scheint, muss man in die Scheisse einsteigen um Veränderungen bewirken zu können. Hauptsache man findet wieder heraus. Lange Zeit nährte ich den Glaubenssatz, dass geschieden sein besser als ledig sein ist. Ich wollte so gerne dazugehören zum grossen Haufen – nicht mehr einsam sein. Die Idee, dass Einsamkeit ein Makel, etwas Schlechtes und Abnormes ist, hatte einen schlechten Samen in mir gepflanzt. Dieser Samen trug Früchte des Leidens, viele Früchte über viele Jahre und Jahrzehnte, bis dieser vermaledeite Baum endlich sterben durfte. Irgendwann hat sich die Einsamkeit wieder in etwas Schönes und Edles verwandelt. Ein überaus wertvolles Gut, dass es oft auch zu verteidigen galt und immer noch gilt.
    Einsamkeit gehört zur Freiheit. Eine gesunde und gute Balance war mein Lebensziel. In der Präsenz meiner Seele bin ich All-Eins. Die Verbindung mit der Seele, das Besinnen auf die Präsenz meiner Seele transformiert negative Gefühle der Einsamkeit. Jemand sollte ein Buch zum Thema schreiben mit dem Titel „Ein Kurs in Einsamkeit – auf dem Weg zu einer gesunden Balance zwischen Einsamkeit und Freiheit“. Das wäre ein grosser Verdienst für unsere Gesellschaft in der einem Parship und Co. schon beim Starten des Labtop entgegen blinkt. Ich habe nichts gegen Liebe, Sexualität und Gemeinsamkeit, solange genug Raum, Zeit und Respekt für eine gesunde Freiheit übrig bleibt. In der Freiheit können wir wachsen, weit über uns selber hinaus.
    Es gibt viele gute Gründe für ein Leben im Gleichgewicht.
    In einem gewissen zeitlichen Abstand sah ich zwei TV-Dokumentationen über Klöster mit einem Männerorden. Der Abt, der Koch, der Lehrermönch usw. wurden interviewt wobei ich immer dachte: „Also der Mann hätte mir auch noch gefallen“. Warum sassen so viele Prachtsburschen ihr Leben in einem Kloster ab? In einer religiösen Gemeinschaft mit viel Zeit für die Einsamkeit oder Verbindung mit der Präsenz der Seele. Es erscheint einem Aussenstehenden, als hätten sich die Ordensbrüder selber eingesperrt und lebten einen grossen Verzicht. Gemessen an der offensichtlichen Zufriedenheit, Freundlichkeit und Gelassenheit dieser Männer, was sie für mich so attraktiv erscheinen liessen, wirken sie aber sehr frei und durchaus glücklich.
    „Menschen, die den Aufstieg durchlaufen, sind im Endspurt allein. Jeder Aufgestiegene Meister kann das erfahren. Du bist auf dich allein gestellt und ermächtigst dich selber, in deiner Präsenz die Energien zu transformieren, sie wegzuschicken oder sie einfach stehen zu lassen. In deiner Präsenz findest du die Antwort deiner inneren Stimme.“ Aus Saint Germain, dein Aufstieg in die Meisterschaft von A-Z“.
    Einsamkeit bedeutet nicht sich völlig abzuschotten, ins Extreme zu gehen. Ich erlaube mir die Freiheit mich ab und zu zurückzuziehen. Nach einem anstrengenden Arbeitstrag möchte ich alleine sein, ganz für mich da sein, zu mir und der Präsenz meiner Seele zurückkehren dürfen. Manchmal braucht es ein ganzes Wochenende oder auch einmal eine ganze Woche in der ich glücklich durchs Gebirge Wandere. Ich bin dann meistens nicht erreichbar und bewege mich in weissen Zonen ohne elektromagnetische Strahlung. Ich bin dann frei und muss mich nicht kümmern. Keine Telefonanrufe, keine E-Mail, keine WhatsApp-Nachrichten mit Appellen, Dramen und Ablenkungen. Ich möchte nicht in einer Wohngemeinschaft leben, wo auch am Abend noch ein Kommunikationszwang herrscht. Wo man reden muss, über den Tag, den ich einfach nur mit Segen loslassen möchte. Ich brauche meinen Wohnraum, angefüllt mit einer schönen, harmonischen Energie die mich wieder ins Gleichgewicht bringt, mich erdet und glücklich macht. Mein Wohnraum ist mein Tempel in dem ich wieder zur Ruhe kommen kann. Manchmal geht das auch in einer Kirche in einer feierlichen Vesper beim Klang gregorianischer Mönchsgesänge wenn ich mir wünsche, dass es noch viele Stunden dauern möge.
    Die Einsamkeit lässt mich leben. Die Einsamkeit erhält mir die Freude am Leben. Die Einsamkeit schenkt mir Vorfreude auf schöne Begegnungen mit anderen Menschen, die dann nicht alltäglich sind. Die Einsamkeit tankt mich voll mit einem ganz besonderen Kraftstoff, den ich auch gerne mit anderen teilen mag. Dann wenn ich es möchte. Einsamkeit bringt Segen für mich und auch für die Gemeinschaft. Ich liebe Gespräche mit Menschen, die einen Satz zu Ende zuhören können. Das tönt so selbstverständlich, ist es aber nicht. Achtsamkeit erzeugt Harmonie. Harmonie schenkt Energie und stielt sie nicht von anderen Menschen.

    Ich gehöre nur mir, ganz alleine.
    Zu keinem Mann und keinem Stamm.
    Zu keiner Gruppe und keinem Verein.
    Ich gehöre keinem Freund, der immer beleidigt ist,
    wenn ich nicht da bin, wenn es ihm gerade passend ist.
    Weil er manchmal ausgeschlossen ist,
    aus meiner eigenen Welt, was sowieso so ist.
    Ich gehöre keiner Religion.
    Ich passe in keine Norm und keine noch so schöne Form.
    Ich gehöre keinem Land und keiner Nation.
    Ich gehöre keinem Unternehmen,
    keinem Vorgesetzten, seinen Zielen und Plänen.
    Ich bin die ich bin, ich bin die ich immer war, ich bin die ich immer sein werde.

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    • Sabrina Fox sagte:

      Liebe Maryvonne, danke für das Teilen. Jede und jeder von uns macht seine eigene Lebenserfahrung und wirklich auf sich selbst zu hören, ist eine hohe Kunst. Besonders eben dann, wenn die Gesellschaft um uns herum andere Lebenskonzepte bevorzugt. Mit sich selbst zu sein, seine eigene Schwingung zu erspüren, in seinem Sein zu versinken, bedeutet nicht andere Menschen und Wesen nicht zu schätzen und zu lieben. Es bedeutet einfach nur, jetzt im Moment – oder eben in einem Leben – etwas anderes zu bevorzugen.
      Da ich davon überzeugt bin, dass wir „für immer“ sind, gibt es eben in jedem Leben viele Wahlmöglichkeiten. Danke, dass Du das mit uns teilst.

      Ich bin sicher, dass die eine oder andere Lesende das mit den Gedanken zur Kenntnis nimmt: „Oh wie schön! Ich bin nicht die einzige.“

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